konkrete Vorschläge und Abwägungen (Corona)

Was wünsche ich mir konkret im Umgang mit Corona für 2022 und danach?

  • Keine Grabenkämpfe führen – bringt nix (Vergangenes: Schwamm drüber)
  • Veranstaltungen /private Treffen wieder ohne Kontrolle zulassen
  • Maske tragen freiwillig oder wenn selbst krank
  • Schnelltests überall erhältlich, aber Eigenverantwortung (evtl. Pauschalbetrag für Arme zugeben)
  • Nachsteuern sobald sich etwas ändert! – bei tödlicheren Varianten oder so wissen jetzt alle, was zu tun ist
  • Impfungen und Behandlungsmethoden weiterentwickeln
  • Wissenschaft forschen lassen und – ohne Hektik – wenn es was neues gibt, hören was sie zu sagen hat
  • Krankenhäuser unterstützen – was letztlich mehr Pflegekräfte mit besseren Arbeitsbedingungen und Abkehr vom kapitalistischen Prinzip bedeutet
    Gesundheit ist keine Ware sondern Grundrecht, Krankenhäuser sind öffentliche Daseinsvorsorge und nicht Renditebringer. Details dazu sind Gegenstand ganzer Bücher.
  • Verhältnis RKI zu Regierung klären (was ist gewünschte Verflechtung, was ist fragwürdig, wer hat welche Befugnis)

Nochmal zu meinem „Sinneswandel“ bezüglich Corona-Maßnahmen: aktuell ist ein Eindämmen des Virus, also der Wunsch nach Seuchenfreiheit durch null Infektionen völlig utopisch, die aktuellen Maßnahmen ändern kaum etwas am Ausmaß der schweren Erkrankungen und da die Alternative zu bewältigen ist – also nicht einfach reihenweise Menschen sterben – ist das einfach die neue Balance einer Kosten-Nutzen-Abwägung vor dem realen Hintergrund der Machbarkeit. Die gleiche Abwägung sah halt vor einem Jahr noch anders aus: Delta war viel schlimmer, Grundimmunisierung weniger gegeben und „Augen-zu-und-durch“ noch halbwegs glaubwürdig als Motto der Einschränkungen. Aber wo derzeit der scherzhafte Satz gilt „Omikron ist das neue Impfen“… Wer bereits geimpft ist, kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit glimpflich davon und immunisiert sich weiter. Wer nicht geimpft ist, wird es damit – mit einem Risiko richtig krank zu werden, das er/sie selbst gewählt hat.

Was könnten wir sonst tun?

  • Null-Covid-Strategie – wie gesagt utopisch
  • Geimpften alles erlauben, Ungeimpften verbieten (Impfpflicht?)
  • nicht gerechtfertigt, da auch Geimpfte übertragen und sogar erkranken können (zumeist weniger schwer). Außerdem gilt das Argument nicht mehr, dass ich Rücksicht auf das Risiko der schweren Erkrankung aller nehmen muss, denn jeder hatte die Chance sich eine Meinung zu bilden und sich schützen zu lassen, wenn sie dann dennoch an der Beatmung oder im Sarg landen, war das ihre Entscheidung. Da (in aktueller Lage) nicht andere darunter leiden, weil deren Behandlung zum Systemkollaps führt, ist das ethisch ok, finde ich. Risikopatientinnen, die für ihre Schutzlosigkeit nichts können, leiden auch aktuell, ich glaube nicht, dass wir deren Lage deutlich verbessern können, indem wir Restaurants geschlossen halten oder Ungeimpfte unter Druck setzen. Auch das Aufschieben anderer Behandlungen ist langsam fragwürdig – war im Notfallmodus des ersten Jahres ok, aber nicht als Dauerzustand.

    Oder habe ich weitere, vielleicht viel bessere Optionen übersehen?

Umgang mit Corona – eine Chronologie

Ich war von Anfang an für Solidarität, vernünftige Regeln und deren Einhaltung. Am Anfang hieß das für mich:

  • Kontakte reduzieren
  • Abstand halten
    Denn denken wir uns nochmal rein: Masken waren noch nicht sehr verbreitet, von der Impfung gar nicht zu reden. Dann kamen die beiden hinzu:
  • Maske tragen wo viele Leute sind bzw. in Innenräumen
  • Impfen gehen seit das möglich war ohne sich „vorzudrängeln“

Warum hielt ich das für gesetzt?

  • Wir wussten noch nicht viel über das Virus – lieber Vorsicht als Nachsicht
  • Was wir recht schnell wussten: es kann sich jede*r anstecken, weil noch niemand natürliche Abwehr hat
  • Wenn sich jede*r anstecken kann und das dann exponentiell steigt, reicht es aus, dass nur 1% Behandlung im Krankenhaus braucht – also kein Killervirus oder so – aber selbst dann wäre schnell Gesundheitsversorgung und evtl. öffentliche Ordnung zusammengebrochen
  • Ein bisschen Rückzug und Innehalten ist nicht zuviel verlangt, wer vor oben genanntem Hintergrund dazu nicht bereit ist, muss echte Defizite haben (natürlich gibt es bestimmt Gründe, aber bei der nörgelnden Masse sah ich das nicht gegeben und die haben mich wirklich geärgert)
  • Es waren Notfallmaßnahmen auf Zeit (Am Anfang war ja sogar die Hoffnung das wäre nur, bis in weiten Teilen der Welt keine Ansteckungen mehr sind und dann vorbei)

Dann war langsam jede Menge Wissen verteilt:

  • wissenschaftliche Erkenntnisse zum Virus
  • Wir hatten Impfstoffe
  • Jede*r kannte die Verhaltensregeln und es war normal z.B. Maske zu tragen und keine Hände zu schütteln
  • Politik hatte einiges ausprobiert, Berater an ihrer Seite usw.

Damit änderte sich langsam etwas:

  • Der Schutz der Verletzlichsten war besser
  • Wer sich impfen lassen wollte, konnte diesen Schutz haben
  • Die Virus-Apokalypse nicht mehr zu erwarten
  • Nun hätten Regeln mit mehr Augenmaß und weniger persönliche Einschränkung greifen können

Leider gab es jede Menge Hickhack, schlechte Kommunikation und die Eigenlogik der Politik (nur für Gutes/Beliebtes verantwortlich sein wollen – alles schlechte waren die anderen; sich noch schön die Taschen füllen; Impfstoffe so empfehlen wie man sie eingekauft hat und nicht wie medizinisch empfohlen usw.). Das war dann nach über einem Jahr schon nervig, aber noch kein Grund alles hinzuschmeißen.

An der Stelle mal eine Einschätzung zu den „Impfgegnern“, „Corona-Leugnern“ und sonstigen aus diesem Contra-Lager: Dass bereits von Anfang an Verschwörungsmythen erzählt wurden, dass einige Leute bereits gleich zu Beginn, wo noch niemand was genaues über Corona wusste, ganz genau wussten, dass sie sich an keine Regeln halten müssen und dass sehr schnell die üblichen Demokratiefeinde bzw. Ablehnenden dieses Staates mitgemischt haben, zeigt für mich deutlich, dass es nicht um einen Beitrag zur Pandemiebewältigung (nichtmal um sachliche Kritik an der Einschätzung als Pandemie) ging.

Und wie sieht es aktuell aus? Nicht zufällig habe ich die Vorgeschichte nochmal nachgezeichnet. Denn aktuell laufen die Strömungen für mich auseinander und ich stehe zwischen den Stühlen. Mit den „Gegnern der Corona-Maßnahmen“ möchte ich mich eigentlich nicht vereinen, weil ich wie gesagt in deren Genese nix erkenne, was ich auch nur ansatzweise unterstützen will. Andererseits bin ich auch kein Freund der Pharmaindustrie. Und kein Freund der Einschränkungen aus Prinzip. So sinnvoll ich das Impfen fand, als es möglich wurde: eine Impfpflicht sehe ich kritisch. Schon allein, weil man damit rückwirkend die Schwurbler und Schreihälse bestätigt.

Wie ist die Lage denn jetzt, Februar 2022, mit Omikron usw.?

  • Krankenhäuser (vor allem Intensivstationen) laufen nicht voller mit drastischen Inzidenzen
  • Impfung schützt nicht vor Ansteckung und Weitergabe
  • Es ist nicht zu verhindern, dass Corona in der Menschheit zirkuliert
  • Alle werden sich früher oder später anstecken
  • Es gab bereits zwei Jahre Ausnahmezustand mit viel Hü-Hott
  • Die Nebenwirkungen der Corona-Bekämpfung übersteigen langsam den Nutzen

Was schließe ich daraus?

  • Wir sollten nüchtern die Realitäten abwägen (was ich im Ausnahmezustand zu Beginn ebenso empfand und da weitgehend gegeben sah!)
  • Aus Prinzip an der entstandenen Spaltung in „Team Vorsicht“ und „Corona ignorieren“ festzuhalten scheint sich so zu ergeben, ist aber blöd
  • politische Lager und Spielchen hin oder her, wir brauchen eine Exit-Strategie und einen Weg jenseits Inzidenzen und Eindämmung

Können wir jetzt also bitte wieder über alle Optionen und Zusammenhänge sprechen, ohne die eingeübten Worthülsen zu nutzen, die entweder als „Team Vorsicht“ oder „Coronaleugner“ identifizieren? Den anderen vorzuwerfen, wo sie grundsätzlich falsch liegen, hat noch nie den Nachweis ersetzt, wo/wie/warum man selber richtig liegt. Danke.

(konkrete Vorschläge hier)

Gedanken zur Geopolitik

Dieses Feld ist für mich persönlich ziemlich spannungsgeladen, da ich eigentlich mit dem Pazifismus sympathisiere. Dennoch denke ich manchmal als Realist. Und aktuell beobachte ich leider eine Dynamik auf diesem Planeten, die nicht viel Raum für Träume von Harmonie und allseitigem Wohlwollen lässt. Das wäre:
China (Beziehung aus Geschichte, Kultur und aktueller Lage)
Deutschland (Bundeswehr, Außenpolitik)
Europa (politische Lage in EU und geopolitische Situation)
NATO (Kritik Soll- & Ist-Zustand, Bezug Geschichte)
Russland, USA usw. (kurzer Kommentar, Länder tauchen verteilt im Text auf)
Auflösung der Widersprüche (Grundzüge einer gewünschten Richtung)

China.
Fakten: Unter Xi Jinping wird China zunehmend auf Nationalismus getrimmt. Es gab kürzlich erhellende Dokus (Arte) über seinen Weg zur Macht und seine Marschroute im Inneren der KP. Daraus geht klar hervor, dass er entschlossen ist, diesen Weg zu Ende zu gehen. Also Personenkult, mehr Zensur, mehr Propaganda, Ausnutzung digitaler Möglichkeiten, mehr Anstacheln nationalistischer Akteure im Inneren, Zügel in allen Bereichen wieder anziehen (die KP entscheidet über große Unternehmen in China, wer in Ungnade fällt, wird gestürzt und mundtot gemacht, soziale Medien überwachen wer aus der Reihe tanzt etc.), Ausbau militärischer Mittel über das konventionelle Heer hinaus, eigenes Raumfahrtprogramm statt Kooperation usw. usw.
Einordnung: Die Chinesen haben aus der Geschichte gelernt. Sie bleiben aber ihren alten Werten aus den Kaiserreichen treu. Für vieles, was das antike/mittelalterliche China ausgemacht hat, habe ich großen Respekt. Leider ist die Kombination für die neue Ära dennoch kein gutes Zeichen. In China galt nämlich immer Stabilität und Wohlergehen im Inneren als Top-Priorität. Dabei setzten die Kaiser oder gleich deren Beamte (die Zeitweise mehr Kontrolle als einzelne Kaiser hatten) auf Wissen statt auf (religiöse) Ideologie und offen ausgetragene Konkurrenz – wie es zur gleichen Zeit im Westen der Fall war. So erklärt sich, dass China der Welt technologisch weit voraus war und trotzdem nicht das Bedürfnis hatte, andere einzunehmen und zu bekehren. Allerdings bedingte diese Priorisierung auch, dass eben wirklich jedes Mittel recht war, um Unruhe im Inneren zu unterbinden und langfristige Planbarkeit zu sichern – die den Wohlstand herstellen sollte. In China scheint immer noch ein Konsens zu herrschen, dass dies der beste Weg ist (sozusagen nicht der Königsweg, sondern der Kaiserweg), um den größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Zahl zu erreichen. (Das klingt auch schön in den streitenden Positionen bei „Die drei Sonnen“ von Liu Cixin an.) Insofern ist das Kopfschütteln gegenüber der westlichen Forderung nach freier Meinungsäußerung, Demokratie usw. verständlich. Wenn Stabilität im Reich der Mitte ebenfalls aus dessen Mitte und vom Sohn des Himmels kommt (eine zentrale Ordnungsmacht steckt quasi in den politisch-kulturellen Genen Chinas und ist in so viel Symbolik verschachtelt) und wenn die historische Erfahrung zeigt, dass es entweder dieses starke Zentrum gibt oder Chaos und Niedergang (und dies ist in der Tat eine historische Erfahrung in China), dann ist auch klar, dass Mitsprache aller wie eine gefährliche Dummheit wirkt. Noch dazu bei einem Volk aus zwei Milliarden und mit ursprünglich zig verschiedenen Sprachen. Ergänzt wird das mit Konfuzianismus, der im Wesentlichen Hierarchie und Autorität rechtfertigt und es zur Tugend erklärt, dass alle sich anstrengen, die gemeinsamen Ziele (ausgegeben von oberster Stelle) zu erreichen. Konfuzius hat zwar auch Forderungen an Mäßigung und Weisheit der Führenden gestellt, aber es hat sich nie eine Instanz oder ein Modus entwickelt, die Einhaltung zu beobachten. Das fatale ist nun, dass China vom Westen gelernt hat und in Anwendung des Gelernten – aber verbunden mit seinen verwurzelten Werten – ein totalitäres Monstrum ohne innere Kontrollinstanz wird.
Was hat China vom Westen gelernt? Dass man nicht mehr bestehen kann, wenn man sich auf sein eigenes Territorium beschränkt. Dass es sehr hilfreich ist, andere von sich abhängig zu machen und falsche Versprechungen zu machen, die man im richtigen Moment brechen kann. Und dass der Westen unter dem Vorwand von Freihandel, Demokratie und sogar den Menschenrechten keinerlei Skrupel hat, Kanonenboot-Diplomatie, Propaganda oder schlimmeres zu betreiben. Wer sich die Geschichte der Opiumkriege oder des Antikenschmuggels nochmal zu Gemüte führt, bekommt einen Eindruck davon, wie verlogen und rücksichtslos der Westen auf China wirken muss. Dass Chinas Ausweg aus dieser Epoche ausgerechnet Maos Art von Kommunismus war, macht es nicht einfacher, vermittelnde Zwischentöne zu finden.
Verbindet man diese Erfahrungen nun mit dem vorausschauenden Pragmatismus, der in China immer ein höherer Wert war, als ideologische oder philosophisch begründete Werte – von Maos Wahn mal abgesehen – dann ergibt sich eben als logische Konsequenz, dass man einen Fünfjahresplan und noch längerfristige strategische Ziele ausgibt und die Mittel zum Erreichen dieser Ziele per se angemessen sind. Pragmatismus macht auf der anderen Seite den Charme chinesischer Philosophie zu einem guten Teil aus – dass Gegensätze pragmatisch und weise verbunden werden, anstatt einen Kampf Gut gegen Böse, Richtig gegen Falsch auszurufen. Darauf komme ich noch zurück. Aktuell aber gilt weniger die Versöhnung als die Dominanz. Die Meinungen der Konkurrenten sind einzubeziehen (als strategischer Faktor), aber nicht zu berücksichtigen. Die Alternative heißt Scheitern und ist immer nah an Chaos und Auflösungserscheinungen – daher ist klar, dass auch hartes Durchgreifen gegen Abweichler zum Beispiel bei weitem das kleinere Übel sind. Und auf diplomatischem Parkett hält man sich mit Werten, auf die man andere verpflichten will, zurück. Kann aber auch nicht verstehen, dass andere sich herausnehmen, politisches Handeln mit derlei Sentimentalitäten (die vermutlich eh wieder nur Täuschungsmanöver sind) zu begründen. Ja man hat geradezu den Eindruck hinters Licht geführt zu werden, wenn ein Land seine politische Position mit derlei ideologischen Worthülsen, statt glaubwürdigen Eigeninteressen begründet. (Ist da nicht sogar was dran – vor allem, wenn man die USA kennt?)
Vergleich: Ähnlich wie die Debatte über das Fehlen der Reformation als kollektive Erfahrung für den Islam diskutiert wurde, kann man zum Vergleich der Geschichte zwischen China und Europa bzw. Nordamerika einiges sagen. So zum Beispiel, dass China die Zersplitterung Europas nie hatte und dafür eine reiche eigene Tradition an philosophischen und politischen Denkern – so dass der Bedarf „die alten Griechen“ oder katholische Dogmen zu importieren nicht bestand. Auch der europäische Ausweg aus dauerndem Krieg um Überzeugungen (oder unter Vorgabe dieser als Grund) – nämlich im Glauben ans Aushandeln einer objektiven oder zumindest geteilten Wahrheit im Sinne griechischer Philosophen – war in China nie gefragt. Um die Wirren im alten Europa zu ordnen, wurde die Teilung von Einflusssphären etabliert. In den Wirren aus Pest (hier beginnt mittelalterliche Ordnung zu bröckeln), Reformation und Glaubenskriegen sowie den Intrigen um Thronfolge und Gebietsansprüche – nicht zuletzt aber auch der neuen Machtverteilung zwischen Bürgertum und Adel – haben Europa und die jungen USA Macht eingehegt. (Spätere Ausbrüche von Totalitarismus haben diesen Weg bestätigt.) Es gab Rechte, die in Gesetzen festgeschrieben wurden: Was darf der Staat? Was darf der Staatsbürger? Was darf die Kirche? Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative usw.
Die Ausgangslage für China ist ganz anders. Hier gab es die Erfahrung von mehreren Kaiserreichen, im Wesentlichen blieb das Reich der Mitte über viele Jahrhunderte was es war. Es gab Bürgerkriege, Palastintrigen, Mongolenüberfälle und neue Dynastien begründeten neue Hauptstädte – aber Chinas Macht, Wohlstand und überlegene Zivilisation blieben über einzelne Erschütterungen hinaus bestehen. Uralte Mythen und Religionen wurden immer weiter fortgesponnen und wandelten sich ohne direkte Brüche. Die Frage war immer, ob der Kaiser einen guten Plan hatte, Beamte, die diesem Plan folgten (statt in die eigene Tasche zu wirtschaften) und ob es gelang, die Städte und Regionen vor Naturkatastrophen und Barbaren-Überfällen zu schützen. Das Reich zu splitten in Sphären, wo unterschiedliche Wächter über die Einhaltung von Regeln wachen mussten (Legislative getrennt von Exekutive, Spiritualität getrennt von Politik, Bürger getrennt vom Kaiser) musste wie purer Irrsinn erscheinen. Es war der komplette Widerspruch zur – auch in der chinesischen Mystik gesuchten – Einheit von allem (siehe oben Philosophie und Verbindung von Gegensätzen). Bis sie irgendwann den Anschluss verpassten und gierige Kolonialmächte nach China griffen. Eben jene, die sendungsbewusst von Rechtsstaat, Bürgertum und ihrer Philosophie (jetzt eher der Naturwissenschaft) sprachen. Letztlich aber vor allem gierige Barbaren waren. Dieser Perspektivwechsel ist vielleicht für westliche Beobachter einigermaßen erhellend.
Folgen: All das heißt für heute, dass es witzlos – ohne Schuldeingeständnis zur Vergangenheit und Klartext über eigene Interessen – sogar kontraproduktiv ist, auf China einzureden. Xi Jinping hat den Willen zur Macht (und die mit Nationalismus beschallte Öffentlichkeit auch – ich kann es ihnen, im Hinblick auf das skizzierte Selbstbild, nicht einmal verdenken). Und China spürt zunehmend seine Macht auf allen Gebieten – und proportional den Niedergang des Westens, den dieser weitgehend selbst verschuldet hat. Daher fürchte ich, dass die sich abzeichnende Konfrontation unausweichlich ist. Das wiederum finde ich schrecklich, ebenso wie die totale Kontrolle im Inneren des Reichs der Mitte. Hier kann man ja durchaus mit chinesischer Philosophie und Geschichte argumentieren (was vielleicht mal eine gute Idee auf diplomatischem Parkett wäre), dass eine weichere Haltung langfristig mehr Ernte bringt. Dass ein guter Herrscher einer ist, der mehr Geduld als Härte zeigt…

Deutschland.
Die Bundeswehr: Dies ist nun ein kompletter Sprung. Zu Deutschland hole ich natürlich nicht so weit aus, sondern gehe direkt in die Details. Also ich bin überzeugter Wehrdienstverweigerer und kein Freund davon, Deutschland wieder ein starkes Militär zu verpassen und Steuergeld für Rüstung auszugeben. Andererseits finde ich es trotzdem bedenklich, wenn Hubschrauber der Marine nicht über Wasser fliegen können und überhaupt kaum einsatzbereites Gerät da ist. Einige winzige Einblicke, die eine interessierte Öffentlichkeit mal bekommt, lassen einen desaströsen Zustand vermuten. Riesige Summen versickern in Rüstungsprojekten und Beratungshonoraren, aber die Ausrüstung und die Zustände werden nicht besser. Schon einige Minister*innen sind daran gescheitert oder gar Teil des Problems gewesen. Von einer Vorbereitung auf Cyberabwehr, neue Waffensysteme und Szenarien ganz zu schweigen. Vom Thema Rechtsextremismus ebenso. Da ist mein erster Impuls dann doch, eine aufgeräumte, zweckmäßige Armee zu fordern, anstatt die komplette Abschaffung derselben. Wenn ich dann als Schlussfolgerung höre „die Bundeswehr ist in schlechtem Zustand – gebt ihr endlich mehr Geld“, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Wenn ich mit einem Eimer Wasser schöpfe und irgendwie nie Wasser drin ist, wenn ich es brauche, dann suche ich doch das Loch anstatt immer wieder neu Wasser rein zu gießen.
Außenpolitik: Ich würde behaupten, deutsche Außenpolitik seit Ende des zweiten Weltkriegs hat zwei Lehren gezogen – 1. still und leise für die (Export-)Wirtschaft arbeiten und 2. an die USA binden. Manchmal steht das eine im Widerspruch zum anderen, immer dann wird hier über deutsche Außenpolitik diskutiert, aber ansonsten gibt es wenig konsensfähige Ziele. Diese Lehren aus der Geschichte sind durchaus pragmatisch, aber besonders nobel oder ambitioniert sind sie nicht.
Zwischendurch war vielleicht die deutsch-französische Freundschaft mal relevant. Die DDR bleibt hier wie immer ausgeklammert – was natürlich auch eigene Probleme schafft und Fragen aufwirft. Aber gerade auf diese beiden Aspekte beziehe ich mal den nächsten Punkt: Deutsche Führungsrolle im geeinten Europa. Sowohl bei den sowjetischen Völkerfreundschaften als auch bei der „Verbrüderung“ mit Frankreich war die Aussöhnung und das Formen einer strategisch belastbaren Einheit das Ziel. (Problematisch natürlich, dass die deutsche Teilung zwei gegnerische Lager daraus machte und die deutsche Wiedervereinigung vor allem den europäischen Osten dabei zurückließ.) Die Idee des (unter deutscher Führung) geeinten Europa zieht sich bis in die heutige EU, taugt aber inzwischen nicht mehr zur großen Vision. Dass Deutschland als zentralem, wirtschaftsstärkstem und bevölkerungsreichstem Land Europas hier eine Schlüsselrolle zufällt, war nicht nur erwartet worden, sondern wurde auch immer wieder an verschiedenen Stellen gesagt. Innenpolitisch hat Deutschland da ähnlich reagiert wie außenpolitisch: pro Wirtschaft, pro USA. Und gar nichts ernsthaft europäisches folgte. Die Unterstützung der EU-Institutionen (mit all ihren vorhandenen Fehlern) und ihre Verteidigung gegen Anfeindungen reichen leider nicht aus. Von Anfang an haben Skeptiker der EU ein Demokratiedefizit attestiert (was Brüssel zur leichten Beute von Lobbyisten und Parteiklüngel gemacht hat und bis heute massiv Glaubwürdigkeit kostet). Dieses Versäumnis geht vielleicht weiter als bisher eingeschätzt. Es würde mich nicht wundern, wenn die Geschichte darüber ein recht hartes, zumindest kopfschüttelndes, Urteil fällen würde.

Europa.
Die EU hat es ebenfalls nicht geschafft, eine gemeinsame Vision voran zu treiben, die stärker ist, als nationale Eigeninteressen. Letztere haben sich leider auf fatale Art und Weise durchgesetzt (beginnend beim deutschen Umgang mit Griechenland während der Finanzkrise, über Orbans Autokratie in Ungarn bis hin zum national-polemischen Polen). Zwischendurch dämmerte es zwar einigen Staats-/Regierungschefs mal, dass ein starkes Europa gut wäre, dass man dafür über gemeinsame Außenpolitik nachdenken sollte und dass die Nato vielleicht doch nicht mehr die richtige Form ist oder hat, die das einzige Bündnis mit globalem Einfluss, indem Europa steckt, haben sollte. Ich denke da vor allem an Frankreich (Macron: „die NATO ist hirntod“), aber Frankreich dachte da wohl vor allem an sich. An seine alten Einflusssphären und Instrumente. Aber leider gab es nie einen Konsens. Nicht mal ein „Agreement to disagree“, ja nicht mal eine handlungsfähige Gruppe, die sich zur Suche nach einer Übereinkunft verabredet hätte. Zu der Idee später nochmal. Gerade die Hinwendung der USA zum Konflikt mit China und dem pazifischen Raum zeigt deutlich, dass Europa sich um eigene Interessen künftig selbst wird kümmern müssen. Und wenn man nicht daran glaubt, dass Russland, China, die USA und einige Schwellenländer (witzigerweise könnte man GB nach dem Brexit auf diplomatischer Bühne dazu zählen) ihre Interessen verfolgen können sollten, wie sie möchten, wenn man nicht daran glaubt, dass die auch im Konfliktfall schon die richtigen Lösungen finden werden – dann sollte man sich vielleicht selbst organisieren.
Ich kann mich erst einmal dafür erwärmen, den Streit den Streithähnen zu überlassen und sich als Europa eben gerade nicht einzumischen – wenn China und die USA z.B. wirklich einen neuen kalten Krieg aufziehen wollten oder auch den einen oder anderen heißen Konflikt, Handelskrieg, was auch immer – da wäre es doch ganz gut, keiner Seite Bündnistreue geschworen zu haben oder zwischen die Fronten zu geraten. Allerdings hat das Ganze einen Haken. Was wenn die Welt als Ganzes instabiler wird und z.B. Russland das ausnutzt? Um, während einige im Pazifik beschäftigt sind, in einer „Zuckerbrot und Peitsche“-Manier (also nicht als klarer Angriff zu deklarierende Aktionen) osteuropäische Staaten abzuwerben? Oder um mit Troll-Armeen und Desinformation weiter an der Spaltung westlicher Bevölkerung zu arbeiten und damit auf Dauer demokratische Werte unmöglich zu machen? Das sind zwar irgendwie Horrorszenarien, aber ganz sicher nicht völlig aus der Luft gegriffen. Ich bin mir nicht sicher, ob die EU, wie sie aktuell aufgestellt ist, in der Lage wäre, das wirksam zu verhindern. Und da ist eine gemeinsame Außenpolitik sicher hilfreich, selbst ohne „high end“ Militärbündnis. Aber auch dieses – wie gesagt, obwohl ich skeptisch gegenüber Militär bin – könnte nützlich oder gar notwendig werden. Es ist nun mal so, dass Diplomatie und Verständigung besser funktionieren, wenn die Gesprächspartner wissen, dass man notfalls auch anders könnte. Und umso sympathischer, wenn man zu diesen Mitteln dann trotzdem nicht greift.
Hinzu kommt die Problematik Naher Osten (eigentlich sogar vom Maghreb bis Zentralasien). Hier ist seit einiger Zeit zu erkennen, dass die USA bisher nicht geeignet waren, Konflikte zu lösen und dass sie das Interesse verloren haben. Was sie dabei hinterlassen haben und was der Klimawandel noch hinzufügen wird, ist beunruhigend. Und mit den Folgen zusammenbrechender oder gerade noch von Diktatoren zusammengehaltener Staaten, wird vor allem Europa leben müssen. Flüchtende, Terrorgruppen und eine Nachbarschaft, in der keine Zusammenarbeit und wirtschaftliche Entwicklung möglich ist, sind schon jetzt die Folge und werden es bleiben. Da es auch in Afrika keine handlungsfähige politische Allianz gibt, bleibt nur Europa, um das Problem anzugehen.
Wie an China schon beschrieben, gehe ich davon aus, dass sie bereits planen, ihren Einfluss auszudehnen (rein territorial wie auch in der Tiefe). Und wenn Europa in irgendeiner Form mitreden möchte, wo da rote Linien sind und vielleicht doch noch ein Gegenmodell abgeben möchte, in dem demokratische Werte und Menschenrechte noch zählen, dann muss es selbst ernst genommen werden. Und China wird einen zerstrittenen Haufen, für den sich auch die USA nur noch marginal interessieren, nicht ernst nehmen. Na gut, die Meinung der USA zählt auch nur bedingt, nämlich sofern sie sich nicht selbst demontieren – wie schnell das möglich wäre, hat die Zeit mit Trump eindrucksvoll gezeigt. Auch die chinesische Bevölkerung – wie gesagt intensiv vom pragmatischen Macht- und Stabilitätsgedanken beeinflusst – wird das demokratische Modell als gescheitert einstufen, wenn es nicht mehr vorzuweisen hat, als schöne Worte, die im Geplänkel untereinander untergehen. Früher war das noch der Wohlstand, aber den verspricht inzwischen auch die KP durch Taten statt Worte. Mit weiterem Streit ohne klare Linie würde Europa den Beweis antreten, den die KP-Führung die ganze Zeit zu führen versucht: dass Demokratien verlogen und schwach sind und es sich nicht lohnt, diesem Modell anzuhängen – selbst wenn die persönlichen Freiheiten irgendwie nett sind. Der erwähnte Pragmatismus würde einfach beweisen (und seinen eigenen Beitrag dabei geflissentlich übersehen), dass sowas auf Dauer nicht klappt.

Die NATO.
Zur NATO stehe ich kritisch. Das ist schade, könnte sie doch genau das Gegengewicht sein, das demokratische Staaten, denen Menschenrechte – oder weil es so abgegriffen und häufig missbraucht ist, sagen wir vielleicht mal Bürgerrechte – etwas bedeuten, nutzen könnten, um nicht unter die Räder zu kommen. Mein Anspruch basiert aber auf ethischen Grundsätzen und der Glaubwürdigkeit nach außen und das hat die NATO nachhaltig zerstört. Meine Kritik: die NATO war geschaffen als Fraktion gegen den Warschauer Pakt, sie war der militärische Arm des Westblocks gegen den Ostblock. Und in dieser Funktion hat sie einiges mitgetragen, das absolut nicht mit meinen Werten konformgeht. Da wäre der Vietnamkrieg zu nennen (schon dessen offizieller Auslöser war inszeniert), die Stationierung von Nuklearraketen gegen die Absprachen mit dem Warschauer Pakt (der Auslöser der Kubakrise waren entgegen gepflegter Mythen nämlich die USA bzw. NATO und nicht Kuba, SU bzw. Warschauer Pakt) und das Versprechen bei Auflösung der SU, sich nicht nach Osten auszubreiten – was eiskalt gebrochen wurde (und vermutlich schon so einkalkuliert war, als das Versprechen gemacht wurde). Und auch danach ging es so weiter. Das ist das Schlimmste, denn nach Ende des Ost-West-Konflikts wäre es möglich und geboten gewesen, zu sagen „Schwamm drüber, lass uns neu anfangen, angepasst an eine Welt, in der jeder ein potentieller Verbündeter ist“. Es wäre möglich gewesen, die NATO in einen (selbst-)Verteidigungspakt freiwilliger Mitglieder umzuwandeln – eng gebunden an Völkerrecht und Absprachen mit den UN. Stattdessen haben die Westmächte – allen voran die USA – weiterhin Staaten ausgegrenzt und ihre Interessen vertreten – sogar gegen die Interessen einzelner NATO-Mitglieder. Und wenn sich mal wieder Diskussionen über den Zustand der NATO abzeichnen, wird mantra-artig wiederholt, dass das Bündnis zusammenhalten müsse, dass seine jetzige Form so bleiben soll, dass es nichts aufzuarbeiten gäbe und dass es quasi „natürliche Feinde“ der NATO gäbe. Einsätze, die die USA nicht wollen, weil sie ihnen nichts einbringen, werden abgelehnt (selbst wenn sie beispielsweise zur Stabilität an Europas Grenzen beitragen sollen) und Einsätze, die umstritten, evtl. völkerrechtswidrig und eher eskalierend als befriedend sind, werden durchgezogen, wenn sie im Interesse der USA sind. Dazu kommt, dass ein Dogma aufgestellt wurde (vor allem im deutschen Wahlkampf zu beobachten, dass nahezu alle Parteien ein – noch dazu völlig bedingungsloses – Bekenntnis zur NATO verlangen bzw. vor sich hertragen), dass die NATO ein unauflösbarer Teil westlich-demokratischer Staaten sei. Solche Dogmen aus einer anderen Zeit auf alle Situationen der Gegenwart und absehbaren Zukunft zu übertragen, finde ich inakzeptabel. Vor diesem Hintergrund die Verpflichtung zur erhöhten finanziellen Unterstützung durchdrücken zu wollen, unterstreicht, wie wenig kooperativ dieses „Bündnis“ inzwischen ist. Von den Fliehkräften in den Interessen der einzelnen Mitgliedsländer ganz zu schweigen. Oder gar den faulen Kompromissen, die gemacht werden, um Bündnispartner zu halten (siehe Türkei). Und dann ist da noch der Punkt, dass die NATO als Akteur (oder in der Systemtheorie gesprochen als eigenes System) ein Interesse daran hat, sich selbst am Leben zu halten – so tritt die NATO manchmal als politisches Sprachrohr ihrer Mitglieder auf und klingt dabei eher nach militärischem Säbelrasseln als nach politischer Handlungsfähigkeit. Die politischen Mittel der Konfliktlösung, welche immer vorzuziehen sind, können durch solche Drohkulisse und Inflexibilität aber leicht an den Rand gedrängt werden. Meistens wenn „die NATO“ für ihre Mitglieder spricht, überschreitet sie ihre Kompetenzen. Ich bin also nicht in jedem Fall gegen „so etwas wie“ die NATO aber ich bin ein entschiedener Kritiker dieser NATO.

Russland, die USA und der Rest.
Diese habe ich alle am Rande schon erwähnt und halte es für unnötig, hier große eigene Kapitel zu verfassen. Mein Gefühl aber ist, dass sie alle sich in den Jahren seit der Jahrtausendwende eher von natürlichen Verbündeten Europas wegentwickelt haben anstatt näher heranzurücken. Eine Sonderrolle, die das noch unterstreicht, nimmt Großbritannien ein. Und wenn es stimmt, was über die Finanzierung und den Anschub der Brexit-Kampagne aus Russland gesagt wird (ich halte es für plausibel), dann ist das gleich das nächste Ausrufezeichen.

Auflösung der Widersprüche.
Geht man nun von einem ethikbasierten Ansatz aus, um zu bestimmen, wohin die Reise gehen soll, dann ergeben sich natürlich viele Schwierigkeiten. Ich meine das so: ich möchte keine eigene Version des „America first“ für Deutschland oder Europa, ich möchte kein unhinterfragtes „der Westen gehört zusammen und wir sind immer die Guten“ (waren „wir“ historisch nicht, im Gegenteil) und ich möchte keinen chinesischen Pragmatismus a la „in einer feindlichen Welt ist alles erlaubt, was funktioniert – gemessen in Stabilität der eigenen Macht“. Auf der anderen Seite glaube ich aber auch nicht daran, dass bei der jetzigen Dynamik (verschiedene Mächte schnuppern Morgenluft, wollen sich einen besseren Platz in der Weltordnung sichern bzw. kämpfen, ihre alte Stellung nicht zu verlieren) pazifistische Zurückhaltung funktionieren wird. Einfach immer wieder sagen, dass man für Demokratie und Menschenrechte steht, dass man sich in Konflikte nicht hineinziehen lassen will und dass die anderen gefälligst das Völkerrecht achten sollen, wird nicht ausreichen, um diese Ziele zu erreichen – ja nicht einmal um deren Status Quo zu halten. Demokratie und Völkerrecht würden zerrieben und nicht nur in ihrem unfertigen Zustand verharren, sondern sogar weitgehend verdrängt. Dass dann immer wieder in den eigenen Reihen „Realisten“ aufstehen, die bereit sind für andere Prioritäten diese Werte zu opfern, macht es nicht besser. Im Gegenteil, das ist genau das Scheunentor, das Troll-Armeen zur weiteren Spaltung nutzen und was das herablassende „wir haben euch doch gesagt, es funktioniert nicht“ aus China bestärkt. Es sieht – leicht zugespitzt – so aus, als entwickle sich alles dahin, dass die europäischen Staaten sich entscheiden müssen, ob sie sang- und klanglos untergehen oder alle ihre Werte über Bord schmeißen und frei nach Macchiavelli zu erfolgreichen Verbrechern werden wollen.
Ich wünsche mir weder das eine, noch das andere, aber ich sehe es in vielem, was so diskutiert wird, durchschimmern – auch wenn die Vortragenden das naturgemäß nicht zugeben oder einsehen wollen, dass es darauf hinausliefe. Aber was wäre nun ein möglicher Ausweg? Ich stelle mir das in etwa so vor: Europa macht sich klar, dass die Entwicklung unerbittlich voranschreitet und nicht danach fragt, ob man mit den entstehenden Dilemmata einverstanden ist. Diese Drohkulisse vermag vielleicht doch noch zu Kompromissen und größeren Anstrengungen verhelfen. Und dann rauft man sich zusammen und gründet ein Forum für gemeinsame Außenpolitik. Dieses darf sich gern verfestigen und von einem regelmäßigen Treffen zu einer eigenständigen Instanz der EU werden.
Um die gemeinsame Außenpolitik zu vervollständigen, wird ein EU-Verteidigungspakt geschlossen, indem geregelt ist, welche Kommandostrukturen im Einsatzfall gelten, welche Aufgaben die nationalen Armeen übernehmen (können), welche Waffentechnik (aber auch Cyberabwehr usw.) in die eigene Strategie passt und evtl. noch geschaffen werden muss. Es wird also keine EU-eigene Armee in dem Sinne geben, sondern weiterhin die nationalen, diese haben aber ein gemeinsames Oberkommando, das sie im Einsatzfall rufen und koordinieren kann. Im Prinzip die bessere Version der NATO, die auch wirklich europäische Interessen vertreten kann.
Intern muss dann eine klare Linie gefahren werden: gemeinsame Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte sind unverhandelbar, wer nicht mitmachen will, soll nicht mitmachen. Hier ein kleiner Exkurs zu Polen und Ungarn: Beide Staaten haben bewiesen, wie dreist man mit der EU umspringen kann. Orban hat ein System aus Günstlingswirtschaft aufgebaut, das sich an EU-Subventionen bereichert und gleichzeitig mit faschistisch-populistischen Mitteln europäische Ziele und Werte demontiert. Und Polen, als größter Netto-Empfänger von EU-Subventionen, geht ebenfalls in diese Richtung (begründet auf einem erzkonservativen Katholizismus). Es ist offensichtlich, dass beide Regierungsgruppierungen gegen die EU hetzen, aber ihr Erfolg vollständig von Geld aus der EU abhängt. Wie sich der Stärkere (und moralisch überlegene) so vom Schwächeren (und moralisch absolut unwürdigen) erpressen lassen kann, ist mir vollkommen unklar. Was habe ich verpasst, was dieses skurrile Schauspiel rechtfertigt? Einige sagen ja, wenn man jetzt Konflikte mit Polen und Ungarn austrägt, riskiert man den Zusammenhalt der EU. Allerdings sind die Konflikte nicht zu übersehen, auch wenn man sie nicht austrägt und den Zusammenhalt gefährden sie ebenfalls schon jetzt – weil sich einige schrecklich ärgern, so von denen an der Nase herumgeführt zu werden und andere sich vielleicht ein Vorbild daran nehmen, mit wieviel man durchkommt.
Wenn ich „die EU“ schreibe, meine ich natürlich nicht alle Mitgliedsstaaten gleichermaßen, zentrale Kraft müssen – aus historischen, wirtschaftlichen und Mehrheitsgründen – Deutschland und Frankreich sein. Wünschen kann ich diese EU von der ich spreche natürlich allen, die freiwillig dazu gehören wollen, aber die Arbeit in diese Richtung kann ich zuerst von diesen beiden erwarten. In letzter Zeit kam es immer mal wieder zu Misstönen bei europäischen Projekten, weil sie innenpolitisch schlecht zu verkaufen sind oder eben einzelne Kämpfe um Verantwortung, Kosten und Prioritäten für innenpolitische Interessen verwendet wurden. Dieses Problem ist aber nicht gänzlich unauflösbar, denn es ist (wie ich hoffentlich hinreichend deutlich dargestellt habe) absolut im Interesse der nationalen Bevölkerungen und Unternehmen, dass es eine starke EU auf globaler Bühne gibt. Folglich wäre es Aufgabe der Politiker*innen, diese Ziele mehr hervorzuheben, anstatt trügerische Angebote zu machen, in denen man möglichst viel für „sich selber“ herausschlägt oder „von den anderen“ schultern lässt. Politiker*innen sollten nicht versuchen damit zu punkten, dass sie besonders gut für ihr Land verhandelt hätten – denn die EU abzocken, heißt letztlich, sich selber zu bestehlen. Wenn es oft genug kommuniziert würde, dass Europa diesbezüglich an einem Scheideweg steht, würden vielleicht auch einige Wähler*innen und Lobbygruppen sich für den mittelfristig lohnenden – statt den kurzfristigen – Vorteil entscheiden.
Gedankenspiel: kehren wir das „Teile und herrsche“-Prinzip mal um. Wäre es nicht nützlich, wenn sich die einzelnen Länder der EU angleichen würden, wenn wir so handelten, als säßen wir wirklich in einem Boot? Ich denke, das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung: wenn wir uns trotz Union so verhalten, als könnten wir uns gegeneinander ausspielen, dann sitzen wir eben nicht in einem Boot. Dann lässt ein EU-Staat (Deutschland) eben seine eigenen Banken daran profitieren, dass ein anderer pleitegeht. Oder ein anderer nimmt eben keine Geflüchteten auf, das können mal schön die anderen schultern. Oder einer hält sich eben nicht an Absprachen zu Klimaschutz (Polen) oder Geldwäsche- und Korruptionsbekämpfung (Deutschland) usw. usf. Wenn wir uns aber stattdessen so verhalten würden, als wollten wir wirklich EINE Europäische Union sein, dann sind wir es auch. Und ich glaube angesichts des geopolitischen Umfelds und dem, was wir für die nähere Zukunft erwarten können, werden wir Einheit brauchen. In der Not steht man zusammen. Und geopolitisch halte ich die EU tatsächlich für ein Schiff, das in einen heftigen Sturm fährt.

Schulden zur Krisenbewältigung?

Wenn wir aktuell als EU (und andere staatliche Einheiten) klassisch Schulden aufnehmen, dann müssen wir die irgendwann (evtl. gar mit Zinsen) zurück zahlen. An wen? Na an Privatleute und Banken, die bereits jetzt vermögend sind, sonst könnten sie ja nix ausgeben/verleihen/investieren. Wenn das von normalen Steuerzahler*innen eingesammelt werden muss, wäre ja äußerst hart und ungerecht. (Das wäre dann wohl leider der Moment, an dem die AfD und ähnliche wie Phoenix aus der Asche ihres aktuellen Tiefs erstehen würde und erneut NICHT die wahren Missstände anprangerten, aber von Missständen, die alle spüren, profitierten.)

Also könnten doch (im Sinne der Modern Monetary Theory – MMT) die Zentralbanken einfach jetzt Geld mit vollen Händen austeilen (Stichwort Helikoptergeld). Das gäbe natürlich faktisch eine Inflation. die würde aber erst durchschlagen, wenn die Wirtschaft sich normalisiert. Und dann kann die Zentralbank die Geldmenge ja wieder reduzieren, Geld einziehen. Am besten per Negativzins, um Vermögen abzuschmelzen. Denn Zahlungen während der Krise gehen ja hauptsächlich an bereits Vermögende: wenn wenig Produktion und Dienstleistung entsteht und konsumiert wird, ist auch wenig Arbeit da. Und wer sein Geld durch Arbeit verdient, leidet. Wer hingegen leistungslose Einkommen hat (Mieteinnahmen, Dividenden, Aktienkauf, Geld verleihen) muss weiterhin bedient werden. – Wenn das zusätzlich ausgegebene Geld also genau an den stellen wieder eingesammelt würde, wo es sich dadurch konzentriert, wäre nur gerecht.

Um das klar zu stellen: die Zentralbank gibt zusätzliches Geld ins System, dieses fließt hin zu den vorhandenen Vermögen und wird dann wieder abgeschöpft. Es wird also nicht „den Reichen“ etwas weggenommen, von dem alle profitiert haben, sondern es wird übergangsweise der Kreislauf am Leben gehalten und genau das, was dafür zeitweise geschaffen wurde, wieder eingezogen. Darin besteht kein moralisches Problem. Vielleicht könnte man sogar eine Grenze für Vermögen einziehen und den Negativzins erst „erheben“, wenn die betreffende Summe bspw. 100.000€ überschreitet. Zusätzlich mit der Ausnahme, dass staatliche und gemeinnützige Institutionen sowie Firmen mit einem gewissen Schlüssel aus Angestellten zu Jahresgewinn ausgenommen werden. Wer also selbst eine relevante Rolle für das Gemeinwesen erfüllt, bleibt von Negativzins verschont.

Das Grundeinkommen als Krisenhilfe

Es sieht gerade nicht gut aus für die EU, erst die fehlenden Einigungen über Flüchtlinge, dann die ganzen Neu-Rechten (bis hin zu Fällen wie Orbans“neuem Ungarn“) und jetzt kaum Handlungswille oder Handlungsfähigkeit bei Corona. Das Ganze vor dem Hintergrund künftiger Herausforderungen wie Klimawandel und Wechsel der Weltmächte. Es wird dringend Zeit, neue Wege zu beschreiten – mehr Solidarität, mehr Bürgernähe, Mut für neue Richtungen!

Vom Allgemeinen zum Konkreten: die wirtschaftlichen Folgen des Corona-Shutdowns, müssen abgefangen werden. Die Schwachen allein (sowohl EU-Staaten, als auch Menschen) werden es nicht schaffen. Die EU muss handeln, um nicht in eine faktische Selbstauflösung zu schlittern. Rettungsschirme und Euro-Bonds sind im Gespräch, aber da gibt es keine klaren Favoriten und viele Unwägbarkeiten. Ein Grundeinkommen hingegen hat viele Vorteile: Es ist ein relativ leicht verständliches Werkzeug. Es setzt direkt bei den Menschen an ohne nach Macht zu fragen. Es würde sofort Wirkung zeigen – sowohl bei Popularität als auch als ökonomische Erst-Hilfe.

Bitte unterstützt die Idee: https://you.wemove.eu/campaigns/notfall-grundeinkommen

Und weil die EU leider alles andere als ein sicherer Partner dafür ist, macht es trotzdem Sinn, auch in Deutschland anzusetzen. Hier braucht es auch den Umweg über Initiativen wie WeMove nicht, hier gibt es direkt eine Petition über die Plattform des Bundestags: https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2020/_03/_14/Petition_108191.nc.html

Vielen Dank für Eure Unterstützung 🙂

Ein kleiner Nachtrag dazu: Wieso könnte es gerade jetzt gelingen das Grundeinkommen durchzusetzen, wieso ist das ein historisches Zeitfenster? Aus drei Gründen:
1. Wissen in der EU alle, dass sie jetzt große Summen in die Hand nehmen und schnell handeln müssen. Damit bietet sich das Grundeinkommen an, weil die Idee bereits viel diskutiert wurde in den letzten Jahren und mit einem geschärften Profil auch an Unterstützung gewonnen hat. Wenn schon Schnellschuss, dann lieber etwas, das man sich irgendwie vorstellen kann.
2. Damit greift aktuell das alte Lieblings-Argument, dass das alles nicht bezahlbar sei, kaum noch – denn alle Programme, über die jetzt nachgedacht werden muss, sind nach konservativer Haltung nicht finanzierbar. Es gelten plötzlich andere Gesetze für ökonomische Vernunft.
3. Brauchen wir uns um die (wie ich anderswo schon ausgeführt habe wohl unbegründete) Angst, dass sich mit Grundeinkommen alle nur noch auf die faule Haut legen würden, keine Gedanken zu machen. Aktuell sollen alle faul daheim bleiben – weniger arbeiten, weniger konsumieren.
Der Zeitraum für die Einführung eines Grundeinkommens (und sei es erstmal nur vorübergehend für die Notsituation) ist also so günstig wie noch nie! Dieser Schwung sollte genutzt werden.

anders arbeiten und leben

Wie in meinen Gedanken über Arbeit und Sinn dargestellt, gibt es weitreichende Probleme mit dem bisher dominierenden Verständnis von beidem. Da aktuell alles derart verwoben ist, merkt mensch bei dem Versuch sich zu befreien schnell, dass es radikaler Schritte bedarf. Häufig war es nicht der Wunsch, radikal zu werden, und mensch gibt gleich wieder auf. Was kann ich schon tun? Durchdenken wir es mal:
Ich möchte sinnvolles tun. Dies wird häufig nicht bezahlt. Oder zumindest möchte ich mich nicht mehr an sozialer Ungerechtigkeit und Zerstörung des Planeten beteiligen. Dann werde ich nicht mehr bezahlt.
Ich wohne aber in der Stadt und brauche Geld für Nahrung und Miete. Meine bisherigen Jobs sind eher nicht nachhaltig und für die Gemeinschaft nützlich. Also entscheide ich mich für die Arbeitslosigkeit. Halt! Es gibt Arbeitslosengeld (ALG1 oder 2) nur, wenn ich Arbeitssuchende*r bin! Da haben wir wieder die Begrifflichkeiten, gemerkt? – Arbeit = Erwerbsarbeit und per se anzustreben! Ich kann also gar nicht bewusst keine Erwerbsarbeit mehr machen, weil ich sie als schlecht und sinnentleert empfinde, und stattdessen selber an etwas arbeiten, für das ich nicht bezahlt werde. Denn ich werde zur Erwerbsarbeit gezwungen. Interessant.
Wer hat denn daran Interesse? Wieso sollten wir eine solche Welt wollen? Wir nehmen diesen Zweifel mit, aber halten mal für möglich, dass das bürgerliche Mantra unterbewusst seinen Dienst tut und hier keine bewusste Verschwörung einzelner Puppenspieler vorliegt. (Ich halte eine Mischung für möglich.)
Das heißt also, wenn ich Verantwortung für die Folgen meines Handelns als Berufstätige*r übernehmen will, werde ich gezwungen, mich mit dem Staat anzulegen, da ich mich zumindest dem erklärten Anspruch der Behörde entziehen muss, jede bezahlte Arbeit anzunehmen. Würde ich das in dieser Richtung durchziehen, wäre schon recht radikal.
(Ist es nicht auch unmoralisch, dann von Steuergeldern zu leben?)

Welche Möglichkeiten habe ich noch? Ich könnte versuchen, meinen Geldbedarf zu minimieren. Ich sagte Stadt und Nahrung. Nun kann ich also versuchen, in ein alternatives Wohnprojekt zu kommen, wo ich keine Miete zahle. Und ich kann containern gehen und in einem Gemeinschaftsgarten selbst Lebensmittel produzieren. Damit bin ich aber auch recht radikal unterwegs: ausgeschlossen von Dingen, die dann doch mal Geld kosten, gezwungen, mich mit Leuten auseinander zu setzen, die ebenfalls aussteigen, viel Arbeitskraft in praktische Dinge stecken, die mir evtl. gar nicht liegen. Nagut. Vielleicht ist es alles doch ganz gut? Ein Leben führen, das mich dann zwingt, konsequent an der Umsetzung meiner Werte zu arbeiten. Weckt das nicht auch Begeisterung, ein Tiny House zu bauen und einen Garten anzulegen? Mit lauter Leuten, die das ebenfalls gerade ausprobieren? Also keine Experten, mit denen ich mich messe, sondern alles Anfänger*innen, die gemeinsam eine große Kraft entfalten können. Ich ergründe für mich mal, was ich da persönlich für machbar halte.

Was mir als Möglichkeiten zum alternativen Wohnen einfällt:

  • Gemeinschaftlich bauen (neu oder sanieren), Geld und Zeit können eingebracht werden, je nachdem, wer wovon mehr übrig hat, dann als Genossenschaft oder Eigentümergemeinschaft darin wohnen
  • Tiny House aus Fertigteilen oder komplett selbst bauen (eigenes Grundstück? gemeinsames Grundstück? gepachtetes Grundstück? als Siedlung Gleichgesinnter?)
  • Earth-Ship-Siedlung um gleich noch möglichst autark und nachhaltig zu sein
  • gefördertes Wohnprojekt finden (wenn es als maker-space oder Mehrgenerationenhaus fungiert?)
  • klassische Hausbesetzung
  • Blockhütte wie Einsiedler bauen (dürfte in Deutschland unmöglich sein, weil zu nah an Zivilisation, Land ist immer in Besitz, juristische Auflagen)
  • Dauercamper werden (mit Wohnwagen)
  • mit Bauwagen oder Wohnmobil nomadisch leben (rechtliche Grauzonen, Spritverbrauch?)

Was mir zur Ernährung einfällt:

  • Containern
  • Tafel usw.
  • Foodsharing
  • weitgehend Selbstversorgung (Schrebergarten, Gemeinschaftsgarten, auf Balkon oder um mobile Behausung in Kübeln, Sammeln, viel einkochen und fermentieren…)
  • solidarische Landwirtschaft (SoLaWi)

neue, frische Demokratie

Wie ihr als Leser vielleicht bereits empfindet oder in den Problembeschreibungen gesehen habt: wir brauchen frischen Wind in der Demokratie! Im Demokratieverständnis und auch in den konkreten Methoden. Bei genauerem Nachdenken und Anregungen von unterschiedlicher Seite, war ich überrascht, wie viele Optionen es da gibt.

…und wie man als Politikwissenschafts-Student mit einem Brett vorm Kopf herumlaufen und nur winzige Ausschnitte der möglichen Welt sehen kann. Während meines Studiums war ich sehr angestrengt damit beschäftigt, die Beschreibungen des Ist-Zustandes zu verstehen und zu überprüfen, die andere Wissenschaftler angefertigt haben. Analysen des Möglichen oder konkrete Fehlersuche im Bestehenden gab es nur in engen Rahmen – wieder eingeschränkt durch andere Bereiche des (erst einmal so hinzunehmenden) Ist-Zustands. Kein weißes Blatt, vor dem mensch kreativ werden kann, keine Befähigung „out of the box“ zu denken…

Demokratie ist dieses Ding mit dem Abstimmen, richtig? Am besten natürlich als direkte Demokratie, alle Betroffenen kommen zusammen und dann wird die Hand gehoben, wo ich dafür bin. Soweit so gut. Aber da hat die Geschichte ja nun einige andere Wege beschritten (aus vielen spannenden Gründen, die ich hier gar nicht alle beleuchten kann).

Bleiben wir doch nochmal kurz bei der Abstimmung: warum müssen eigentlich Fürstimmen für fertige Vorschläge gesammelt werden?

Sofern es also um Entscheidungen geht, die von einem relativ kleinen Kreis von Menschen getroffen werden können, ist es möglich, mit direkten Vorschlägen zu arbeiten:

Subsidiaritätsprinzip: Heißt, dass Entscheidungen auf so niedriger Ebene beschlossen werden sollen, wie möglich. Also beispielsweise kann der Bau einer Schule in Stadt oder Gemeinde beschlossen werden, die Einführung einer landesweiten Steuer aber erst auf Landesebene.

Wir sammeln auf einer Tafel oder digital oder wie auch immer die vorhandenen Vorschläge und ändern sie während der Abstimmung noch ab. Ich muss also nicht auf Gedeih und Verderb einer Idee zustimmen oder sie ablehnen, sondern ich kann sagen „ja, wäre ich dabei, aber nur wenn…“ Das funktioniert natürlich nur in begrenztem Rahmen und nur, wenn alle Beteiligten bereits vorher Zeit zur Vorbereitung hatten. Gut wäre da auch, wenn ein erstes Set an Vorschlägen bereits zur Vorbereitungszeit vorläge.

In so einem Rahmen ist es meiner Meinung nach sinnvoll, konkret von der Entscheidung Betroffene und Experten einzuladen. Wenn zum Beispiel neue Abwasserkanäle gebaut werden müssen, könnte ein Tiefbauingenieur, eine Wasserwirtschaftlerin, einige zufällig ausgewählte Anwohner*innen und die Chefin der Abwasser-Aufbereitung der Gemeinde eingeladen werden. Für solche Entscheidungen sind diese Personen besser geeignet, als Parteipolitiker*innen.

Um immer wieder neue Perspektiven einzubeziehen, Realitätsverlust der Amtspersonen und einen Lobby-Filz zu verhindern, ist es überhaupt sinnvoll, für verschiedene Ämter wieder das Los entscheiden zu lassen. So, wie es im antiken Athen schon war. Das würde zum Beispiel die Verflechtungen weitgehend verhindern, die es heute gibt: Konzerne sponsern Parteiwahlkampf und knüpfen Kontakte zu Politikern, die sich auf ein Ressort spezialisieren, dann werden diese später vielleicht noch Aufsichtsrat des Konzerns… (Stichwort „Drehtür-Effekt“) Wenn jede*r plötzlich berufen werden kann, wie Schöffen zum Gericht, dann ist dieses Anbandeln mit „den Richtigen“ nahezu unmöglich.

Außerdem natürlich kann eine Gruppe dazu übergehen, Widerstände zu testen und einen Konsens zu suchen, anstatt Unterstützung zu testen und konkurrierende Vorschläge ins Rennen zu schicken. Ich bin da gar kein Experte, aber hier hat Christian Felber (bekannt von der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung) das am Beispiel Einkommens-Ungleichheit gemacht. Da wird auch der Begriff genannt: Systemisches Konsensieren. Es gibt darüber viele spannende Aussagen und Experimente, klickt euch doch mal durchs Netz 😉

An solchen Beispielen könnt ihr sehen, dass es viele unterschiedliche Möglichkeiten gibt, zu demokratischen Entscheidungen zu kommen. Grundlegend greift der Apell an eine demokratische Öffentlichkeit, wie er häufig bei politischen Sonntagsreden geäußert wird, zu kurz – sofern es keine realen Möglichkeiten gibt, sich als Bürger*in mal wirklich demokratisch auszuprobieren. Ich plädiere also für zwei Dinge: eine Methodenvielfalt bei demokratischen Entscheidungsprozessen aktiv zu fördern und möglichst viel Raum zu geben, diese zu erproben (was bedeutet, einige Entscheidungen auf möglichst niedrige Ebene zurückzugeben und von Betroffenen selbst finden zu lassen). Denn woher soll ein demokratisches Bewusstsein kommen, wenn ich nur Konsument*in von Politik, aber nicht handelnde*r Akteur*in bin? Bewusstsein bildet sich aus Erfahrung und die mache ich besser durch Handeln als durch mittelbares Beobachten.

Ich habe in TV-Beiträgen Beispiele gesehen, wo Kommunen damit experimentieren. Es ist also nicht nur machbar, es wird sogar zaghaft gemacht. Kommunen und Kieze können Projekte zur Bürger*innen-beteiligung vorbereiten und moderieren, dann ist es möglich, echte Erfahrungen mit der Demokratie zu machen. Einfach einen Rundbrief schreiben und den bereits (eher zur Unselbstständigkeit) sozialisierten zuzurufen „Macht mal“ wird natürlich nicht funktionieren. Solche Argumente höre ich ja ab und zu – „Na die Menschen wollen doch gar nicht, wenn du die alle in einen Raum setzt, streiten die doch nur und dann setzen sich die lautesten durch.“ – richtig, so etwas kann passieren, wenn die Bürger*innen weder Losverfahren noch Konsens ernst nehmen, sie eher negative Erfahrungen mit der repräsentativen Demokratie gemacht haben und ihnen die Kreativität bei „ernsten Themen“ erfolgreich abtrainiert wurde. Dieser Zustand ist allerdings menschengemacht und kann ebenso von Menschen geändert werden.

Beispiel Filderstadt bei Stuttgart in einer interessanten, aber aufgrund des deprimierenden Starts und der kontroversen Thesen auch anstrengenden, Doku (ab Minute 34:20)

Außerdem möchte ich auf Partizipation in Kitas und Schulen hinweisen, hier gibt es gute Beispiele, wie Erziehung zu verantwortungsbewussten, prosozialen Menschen gelingt. Überzeugender Hintergrund dazu kommt von Gerald Hüther, Armin Krenz und Jesper Juul. Persönlichkeitsbildung, die möglichst früh startet und psychologische Erkenntnisse zu Gruppenprozessen ernst nimmt, kann sehr wohl den entscheidenden Unterschied machen, dass Menschen einer Gemeinschaft eine gelingende Demokratie gestalten.

Symbolpolitik

…ein klassisches Problem und eine unerwartete Folge von Demokratie.

Wir denken „wenn die Bürger*innen mitbestimmen, kommt was gerechteres dabei heraus, die Bürger*innen sind zufrieden“ – stattdessen: eben weil die Bürger*innen entscheiden (Wahlen + Stimmungen), wird Politik gemacht um zu gefallen (die aber manchmal inhaltlich gerade nicht das ist, was die Gesellschaft braucht).

Symbolpolitik heißt: Entscheidungen treffen, die so klingen, als tut mensch etwas gegen ein aktuelles Problem, die aber nicht wirklich zum gewünschten Ergebnis führen (können).
Beispiel: Obergrenze für Zuwanderung. Klingt konkret, ist aber Unsinn, denn ein Einreisestopp ist gar nicht durchführbar, Recht auf Asyl bleibt – wir können also gar nicht pauschal nach Zahl ablehnen, Fluchtursachen bleiben, Frust im Inland richtet sich gegen Zuwander*innen kommt aber aus anderen Quellen, Radikale fühlen sich nicht beschwichtigt sondern bestätigt…

Wenn sich Politiker*innen für Symbolpolitik mehr Zustimmung erhoffen (können) als für echte Lösungen, entsteht Murks gerade DURCH das demokratische Verständnis (eigentlich wollen wir Bürger*innen ja, dass Politiker*innen „auf uns hören“).

Was wäre die Lösung?

  • Bürger*innen sind besser informiert und bereit nach Logik statt Bauchgefühl zu entscheiden.
  • Politiker*innen schlagen mehrere Lösungen vor und vergleichen, welche Folgen jeweils zu erwarten sind.

Warum passiert das nicht?

  1. Bürger*innen sind intellektuell und emotional ungebildet (Selbstreflexion „warum bin ich unzufrieden?“ „suche ich einen Sündenbock?“ „kenne ich die Zusammenhänge?“) bzw. zu beschäftigt mit anderem kein Vorwurf! Dafür können die Bürger*innen auch nicht (immer)!
  2. Wenn Politiker*innen mehrere Lösungen vorschlagen und die Folgen abwägen würden, wird deutlich, dass sie auch nicht alles wissen und beeinflussen können. Dadurch stehen sie nicht als starke Anführer da – das wünschen sich aber viele Menschen.
  3. Politiker*innen können sich beliebt machen und in Konkurrenz zu anderen Politiker*innen durchsetzen, wenn sie „laut poltern“ und einfache Antworten anbieten (Gegenmodell ist Angela Merkel, sie kündigt gar nichts an und entscheidet je nach Situation, was die Machtverhältnisse hergeben. Wer nichts verspricht, kann nichts brechen.)
  4. Wer sich durchsetzt entscheidet, also gibt es zwar Politiker*innen, die es ehrlicher und vorsichtiger versuchen, aber gerade WEIL wir eine Demokratie haben, kommen die selten an die Macht (kämen sie in einer Diktatur aber auch nicht).

Können wir also nur aufgeben – hat ja eh keinen Sinn?

  1. Dann wäre es womöglich noch schlimmer, weil jede Mahnung an Vernunft fehlt. Kritik, Fragen und alternative Ideen der Bürger*innen werden von Medien und Politiker*innen trotzdem wahrgenommen!
  2. Vielleicht lässt sich durch gutes Vorbild und Aufklärung der Prozentsatz derjenigen erhöhen, die echte Lösungen wollen. Viele Änderungen in der Politik haben durch soziale Bewegungen begonnen – Französische Revolution, Frauenwahlrecht, Umweltschutz…
  3. Erst wenn sich die Macht solcher Bewegungen zeigt, reagiert der demokratische Parteiapparat, sie sollen ja schließlich die Bürger repräsentieren, wenn es also keine konstruktiven oder (radikal) neuen Vorschläge aus sozialen Bewegungen gibt, was sollen Parteien dann repräsentieren? Eben. Immer die gleichen alten hilflosen Versuche, etwas zu ändern, ohne wirklich etwas zu verändern. Oder eben die destruktiven Vorschläge.

Das mit „Bürger ungebildet“ ändert sich gerade – Kitas und Schulen heute haben weniger autoritären Stil, Kinder üben Mitbestimmung (nicht als laissez faire sondern mit Verantwortung). Das ist zumindest eine Grundlage für neue Bürger*innen (und neue Politiker*innen, die waren ja auch mal Kinder). 

Alltag: kleine Handlungen für ein nachhaltigeres Leben

Dass (fehlende) Nachhaltigkeit viel mit Konsumverhalten zu tun hat ist wohl klar. Es geht um Ressourcenverbrauch, Umweltzerstörung und Ausbeutung anderer Menschen. Durch kleine Änderungen können wir in der Masse viel bewirken: also wenn viele Leute jeden Tag viele kleine Änderungen machen, kommt ganz schön was zusammen.

Also: was kann ich tun, um ein gutes Leben zu führen?
Verantwortung zu übernehmen führt zum Gefühl der Handlungsfähigkeit und macht damit zufriedener.

Einkauf:

  • Ernährung:
    • regional / bio / fair trade / verpackungsfrei   (wenn mindestens eins der Kriterien erfüllt ist, hilft schon viel)
    • z.B. Kaffee: fair gehandelt, Stempelsieb (french press) nutzen statt Filter/Kapsel (regional wird ja schwierig, aber so sind die Erzeuger*innen schonmal am Gewinn beteiligt und du vermeidest Müll, allein die Herstellung der Filtertüten und Logistik bis die in deinem Abfall landen…)
    • Was muss ich vllt. gar nicht kaufen? – kann ich selbst anbauen, containern, vom food-sharing holen?
    • Ist mir Fleisch wirklich Wert, was da dran hängt (Tierleid, Antibiotika-Einsatz, Hormone, Treibhausgase, Ressourcenwahnsinn durch Futtermittel)?
  • Hygiene:
    • Was brauche ich wirklich?
    • Weiß ich was drin ist (Tierversuch, Erdölprodukte)?
    • z.B. Deo als Pumpspray statt Treibgasdose kaufen. Und nur natürliche Inhaltsstoffe. (alverde bei dm, Natron, Wolkenseifen…)
    • Gibt es Hausmittel für meine Zwecke? Zum Beispiel kann man zumindest im Herbst auch mal mit Kastanien waschen, du kannst Öko-Spüli nehmen etc.
  • Bekleidung:
    • es gibt fair gehandelte Klamotten (z.B. armed angels, als eigene Kategorie bei OTTO, natürlich in Eine-Welt-Läden und Waschbär-Versand…)
    • ihr könnt sicher auch bei Kleiderkreisel, auf dem Flohmarkt oder second-hand-Läden etwas finden
    • ganz viele Hintergrundinformationen zum Thema unter saubere-kleidung.de (clean-clothes-campaign)
  • Technik:
    • z.B. Fairphone nutzen,
    • Dinge reparieren,
    • Dinge teilen (die berühmte Bohrmaschine, die in ihrem Leben wenige Minuten benutzt wird, aber jede*r glaubt, eine eigene zu brauchen)

Konsum allgemein: nur kaufen, was ich wirklich brauche. Muss ich neu kaufen oder hat es jemand übrig? Gibt’s das auf’m Flohmarkt? Gibt es in meiner Gegend einen Umsonstladen? (was übrigens häufig gleich Kontakt zu tollen Menschen ergibt)

Finanzen:

  • Geld zu einer Ethik-Bank bringen und bei Anlagen etc. auf die Folgen achten (Vergleich und Übersicht)
  • macht mich Geld wirklich glücklich? Wieviel Zeit und Nerven möchte ich darauf verwenden, Geld zu bekommen/nicht zu verlieren?

Geschenke: Bastel etwas oder schenk gemeinsame Zeit, statt Produkte zu kaufen! Mit Freunden/Familie etwas organisieren, was zur gemeinsamen Freizeit wird, ist ein lang wirkendes Geschenk für alle (also du beschenkst dich selbst mit und wenn das als Gruppe klappt, wirst du auch jedes Mal beschenkt, wenn die anderen schenken).

Verkehr: Brauche ich wirklich ein Auto? Muss es ein eigenes sein? Kann ich Mitfahrer mitnehmen? Radfahren ist psychisch und physisch gesünder!

Arbeit: Es ist mitunter nicht leicht zu lernen, aber mach nur, was zu dir passt. Lass dich nicht verheizen. Was ist dir wichtiger: Geld oder Zeit? Welche Bedürfnisse kann (Erwerbs-)Arbeit erfüllen? – Tut dein Job das? Welche Folgen hat dein Job global – stellst du etwas her oder machst eine Dienstleistung, die gut ist für die Welt? Sei mutig genug auszusteigen oder zu wechseln – die meiste Panikmache ist ein soziales Konstrukt und meistens sind die Folgen ganz andere oder weniger schlimm als befürchtet. Ich spreche da aus Erfahrung 😉

Engagement: Gibt es ein Herzensthema, wo ich mich in einem Verein / Initiative einsetzen kann? Gehe ich manchmal zu Treffen, motiviere ich andere, gehe ich auf Demos und Podiumsdiskussionen, unterzeichne ich Petitionen… ? Konstruktiv bleiben ist viel gesünder für dich und deine Umwelt. Versuche etwas zu bewegen, anstatt etwas aufzuhalten.

Allgemein zu den einzelnen Schritten oben: Wenn ich erst einmal begonnen habe, mein Leben zu ändern und auch Leute finde, denen das ebenfalls wichtig ist, macht es Spaß! Es ist viel mehr Erfolgserlebnis als Verzicht.  Es geht nicht um’s Ziele erreichen (nicht schlecht fühlen, für das, was ich „falsch“ mache), sondern um den Weg, den ich gehe. Freu dich über das, was passiert, während du unterwegs bist. 🙂

Für die ganz kritischen unter euch: natürlich ist Konsumverhalten allein keine echte Option für sozialen Wandel. Am Beispiel Demokratie