Schmarotzer?

Was heißt eigentlich arbeitslos? Ist es unmoralisch nicht zu arbeiten und sich von den anderen „durchfüttern“ zu lassen? Wie an anderer Stelle erörtert, ist ja nun Arbeit auch nicht immer so eine tolle Lösung. Aber kann es richtig sein, einfach allgemein von Arbeitslosengeld zu leben?

Ich denke in Anbetracht der hohen Produktivität unserer Wirtschaft ist es nicht notwendig, dass alle im klassischen Sinne arbeiten. Für die Einzelne*n ist es jedoch schon notwendig, etwas beizutragen. Rein psychologisch tut es schon mal sehr gut, für die Gemeinschaft etwas zu leisten. Also sollten Netzwerke gestärkt werden, wo alle etwas beitragen können. Als Vorbild kann das Ehrenamt dienen. Es braucht Raum, einander zu begegnen, um diese freiwilligen Beiträge zu ermöglichen.

In diesem Sinne finde ich ein bedingungsloses Grundeinkommen sinnvoll. Verglichen mit dem status quo (Arbeitslosigkeit, die stigmatisiert wird, und Arbeit, die krank macht oder massive Schäden bei Mitmenschen und/oder Ökosystem anrichtet) finde ich das moralisch überlegen. Außerdem ist die moralische Argumentation verzerrt: wenn jemand aus Faulheit nichts beiträgt und sich von anderen „durchfüttern“ lässt, ist das unter Umständen ein Problem. Diese Umstände heißen Mangel oder sehr harte Anstrengung, um die Bedürfnisse befriedigen zu können. Gelten diese aktuell? Ich denke nicht.
Und was ist Faulheit? Wie vorhin erwähnt, ist es psychologisch von hohem Wert, etwas beitragen zu können. Ich glaube daher, dass eine gut funktionierende Gemeinschaft Optionen anbietet, sich einzubringen (sei es durch Kunst, als Ratgeber*in oder andere Dienste). Und ich glaube, dass ein gesundes Individuum, das gelernt hat, in dieser Gemeinschaft seine Bedürfnisse sozialverträglich zu befriedigen (Aufgabe von Pädagogik), davon selbstständig Gebrauch machen wird. Jede*r wird ab und zu faul sein und einen „Null-Bock-Tag“ haben, aber ein gesundes Individuum in einer gesunden Gemeinschaft wird das nicht als Dauerzustand frei wählen. Autorität und Zwang sind an dieser Stelle (wie an allen anderen Stellen, wo etwas gut funktioniert) nicht nötig!

Ich glaube eher, die Betrachtung von „Schmarotzern und Nichtsnutzen“ beruht auf der Beobachtung dysfunktionaler Gesellschaften. Wo Menschen psychischem Druck ausgesetzt sind, wo sie gegen ihren eigenen Willen handeln müssen (zum Beispiel jede bezahlte Tätigkeit annehmen, mit Wecker aufstehen ohne zu wissen wofür) – und wo sie ausgebeutet werden – da lässt sich Antriebslosigkeit und Verweigerung beobachten. Aber das ist berechtigt. Wenngleich dieser Zusammenhang von den Betroffenen selten bewusst so erlebt und so nachvollziehbar begründet wird. Dafür sitzt die ständig wiederholte Begründung für diese angeblichen Notwendigkeiten viel zu tief in unseren Köpfen.
Das ist ein Zeichen für schlechte soziale Verhältnisse und nicht für schlechte Individuen. Wieso sollte ich motiviert sein, bei dem täglichen Einsatz für das Vermögen meines Chefs die Umwelt zu zerstören oder „unsere“ Kund*innen übers Ohr zu hauen? Richtig! Wenn solche Jobs der Normalzustand sind, sind auch unmotivierte Arbeiter*innen normal. Das ist kein Beleg dafür, dass jede*r prinzipiell lieber faul wäre und mit niemandem was zu tun hätte.

anders arbeiten und leben

Wie in meinen Gedanken über Arbeit und Sinn dargestellt, gibt es weitreichende Probleme mit dem bisher dominierenden Verständnis von beidem. Da aktuell alles derart verwoben ist, merkt mensch bei dem Versuch sich zu befreien schnell, dass es radikaler Schritte bedarf. Häufig war es nicht der Wunsch, radikal zu werden, und mensch gibt gleich wieder auf. Was kann ich schon tun? Durchdenken wir es mal:
Ich möchte sinnvolles tun. Dies wird häufig nicht bezahlt. Oder zumindest möchte ich mich nicht mehr an sozialer Ungerechtigkeit und Zerstörung des Planeten beteiligen. Dann werde ich nicht mehr bezahlt.
Ich wohne aber in der Stadt und brauche Geld für Nahrung und Miete. Meine bisherigen Jobs sind eher nicht nachhaltig und für die Gemeinschaft nützlich. Also entscheide ich mich für die Arbeitslosigkeit. Halt! Es gibt Arbeitslosengeld (ALG1 oder 2) nur, wenn ich Arbeitssuchende*r bin! Da haben wir wieder die Begrifflichkeiten, gemerkt? – Arbeit = Erwerbsarbeit und per se anzustreben! Ich kann also gar nicht bewusst keine Erwerbsarbeit mehr machen, weil ich sie als schlecht und sinnentleert empfinde, und stattdessen selber an etwas arbeiten, für das ich nicht bezahlt werde. Denn ich werde zur Erwerbsarbeit gezwungen. Interessant.
Wer hat denn daran Interesse? Wieso sollten wir eine solche Welt wollen? Wir nehmen diesen Zweifel mit, aber halten mal für möglich, dass das bürgerliche Mantra unterbewusst seinen Dienst tut und hier keine bewusste Verschwörung einzelner Puppenspieler vorliegt. (Ich halte eine Mischung für möglich.)
Das heißt also, wenn ich Verantwortung für die Folgen meines Handelns als Berufstätige*r übernehmen will, werde ich gezwungen, mich mit dem Staat anzulegen, da ich mich zumindest dem erklärten Anspruch der Behörde entziehen muss, jede bezahlte Arbeit anzunehmen. Würde ich das in dieser Richtung durchziehen, wäre schon recht radikal.
(Ist es nicht auch unmoralisch, dann von Steuergeldern zu leben?)

Welche Möglichkeiten habe ich noch? Ich könnte versuchen, meinen Geldbedarf zu minimieren. Ich sagte Stadt und Nahrung. Nun kann ich also versuchen, in ein alternatives Wohnprojekt zu kommen, wo ich keine Miete zahle. Und ich kann containern gehen und in einem Gemeinschaftsgarten selbst Lebensmittel produzieren. Damit bin ich aber auch recht radikal unterwegs: ausgeschlossen von Dingen, die dann doch mal Geld kosten, gezwungen, mich mit Leuten auseinander zu setzen, die ebenfalls aussteigen, viel Arbeitskraft in praktische Dinge stecken, die mir evtl. gar nicht liegen. Nagut. Vielleicht ist es alles doch ganz gut? Ein Leben führen, das mich dann zwingt, konsequent an der Umsetzung meiner Werte zu arbeiten. Weckt das nicht auch Begeisterung, ein Tiny House zu bauen und einen Garten anzulegen? Mit lauter Leuten, die das ebenfalls gerade ausprobieren? Also keine Experten, mit denen ich mich messe, sondern alles Anfänger*innen, die gemeinsam eine große Kraft entfalten können. Ich ergründe für mich mal, was ich da persönlich für machbar halte.

Was mir als Möglichkeiten zum alternativen Wohnen einfällt:

  • Gemeinschaftlich bauen (neu oder sanieren), Geld und Zeit können eingebracht werden, je nachdem, wer wovon mehr übrig hat, dann als Genossenschaft oder Eigentümergemeinschaft darin wohnen
  • Tiny House aus Fertigteilen oder komplett selbst bauen (eigenes Grundstück? gemeinsames Grundstück? gepachtetes Grundstück? als Siedlung Gleichgesinnter?)
  • Earth-Ship-Siedlung um gleich noch möglichst autark und nachhaltig zu sein
  • gefördertes Wohnprojekt finden (wenn es als maker-space oder Mehrgenerationenhaus fungiert?)
  • klassische Hausbesetzung
  • Blockhütte wie Einsiedler bauen (dürfte in Deutschland unmöglich sein, weil zu nah an Zivilisation, Land ist immer in Besitz, juristische Auflagen)
  • Dauercamper werden (mit Wohnwagen)
  • mit Bauwagen oder Wohnmobil nomadisch leben (rechtliche Grauzonen, Spritverbrauch?)

Was mir zur Ernährung einfällt:

  • Containern
  • Tafel usw.
  • Foodsharing
  • weitgehend Selbstversorgung (Schrebergarten, Gemeinschaftsgarten, auf Balkon oder um mobile Behausung in Kübeln, Sammeln, viel einkochen und fermentieren…)
  • solidarische Landwirtschaft (SoLaWi)

Arbeit und Sinn

Ein Mantra der bürgerlichen Gesellschaft ist, dass Arbeit sowohl etwas notwendiges, als auch rundum gutes sei. Beidem möchte ich widersprechen. Die Argumentation wird deutlicher, wenn ich mit „gut“ anfange. Ist es wirklich gut, wenn ein Immobilienmakler von der Vermieterin/Verkäuferin bestellt werden kann, der Mieter/Käufer auf ihn angewiesen ist, um einen Vertrag zu schließen, aber letztlich nur ordentlich draufzahlt? Dafür, dass der Makler im Zweifelsfall nur aufschließt, totalen Quatsch erzählt und dir eine Karte mit der Adresse gibt, an die du alle Unterlagen schicken sollst? Das wurde ja wohl weitgehend abgeschafft, eben weil es offensichtlich nicht fair ist. Aber bis dahin galt es doch als respektabel, wenn man sagt „ich bin im Immobiliengeschäft“?!?
Anderes Beispiel: eine Angestellte der Rüstungsindustrie, die Granatenzünder entwickelt, Raketenleitsysteme programmiert oder beim Aufbau der Fabriken im Ausland hilft, mit denen der Konzern die Export-Auflagen umgehen kann. Ist das gut, dass sie diese Arbeit macht?
Oder die Unternehmensberaterin, die viel verdient, deren Ratschläge von den namhaftesten Unternehmen befolgt werden, die ständig im Arbeitsmodus ist – das ist doch Leistungsprinzip pur, oder? Vielleicht rät sie aber auch nur zu geschickter Bilanzbuchhaltung mit Tochterfirmen (die sich alles gegenseitig in Rechnung stellen), wodurch der namhafte Konzern viel Steuern spart. Und sie rät, Angestellte zu entlassen und als Freelancer, Zeitarbeiter*innen usw. wieder anzustellen. Und sie rät, bei der Regierung den Fachkräftemangel anzuprangern, damit es Programme aus Steuergeldern gibt, die die Ausbildung finanzieren. Der Konzern kauft dann die berühmte eierlegende Wollmilchsau zum Einstiegsgehalt. Wo kämen wir als Wirtschaftsstandort denn hin, wenn sich nicht jederzeit 24-Jährige Masterabsolvent*innen mit drei Fremdsprachen, Praxiserfahrung und Reisebereitschaft über die Wochenenden finden ließen? Richtig! Das wäre ein skandalöser Wettbewerbsnachteil und schlichtweg Fachkräftemangel. Ist es gut, dass jemand diese Arbeit macht? Schön, dass sie einen gesellschaftlichen Druck auf alles und jeden erzeugen, dass jede*r mehr leisten und weniger kosten muss? Immer noch besser, diese Menschen machen in Immobilien, der Rüstung, dem Consulting als sie wären arbeitslos? Ich glaube nicht!
Es ist also nicht per se gut, dass jemand arbeitet, die entscheidende Frage ist was jemand arbeitet. Damit sind wir dann bei der Notwendigkeit. Jemand, der/die nichts beiträgt, hat auch keinen Anspruch auf Essen, ein Bett usw. – richtig? Mh, aber wenn der Beitrag darin besteht, einer alten Dame eine Versicherung zu verkaufen, die diese niemals brauchen wird, dann ist es ok, denn dieses Geld ist ja legal verdient worden? An den bereits genannten Beispielen wird deutlich, dass es jede Menge Arbeit gibt, die keinen Mehrwert für die Gesellschaft erzeugt, sondern Gewinn für wenige auf Kosten vieler. Wenn diese Menschen plötzlich nicht mehr arbeiten würden, würde dann ein nützlicher Beitrag fehlen? Hätten wir dann keine Betten und kein Essen mehr?

Hier kommt ein entscheidender Faktor hinzu, den wir gern übersehen: die Produktivitätssteigerung. Die Arbeitsmoral a la „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ macht dann Sinn, wenn wir jede*n brauchen, um unsere Grundbedürfnisse zu befriedigen. Und dann haben wir auch ganz andere Arbeit: dann haben wir Gruppen von Menschen, die sehen, was gebraucht wird. Die sich gegenseitig helfen. Das war teilweise sogar schon in der Mangelwirtschaft der DDR zu beobachten. Aber wenn es wirklich ums Überleben geht, wird Arbeit als sinnvoll erlebt. Wenn ich eine Hütte brauche, um im Winter nicht zu erfrieren, bin ich motiviert, diese Hütte fertig zu bekommen. Wenn ich Hunger habe, lege ich auch ein Feld an oder gehe Beeren und Wurzeln sammeln. Dafür muss mich keiner bezahlen! Dafür muss kein Wecker klingeln und ich mir die Frage stellen „wofür zur Hölle, soll ich jetzt eigentlich aufstehen?“.
Nächster entscheidender Faktor, den wir oft übersehen: Arbeit ist nicht gleich Erwerbsarbeit. Ich kann sehr wohl etwas sinnvolles schaffen, ohne dass mich jemand dafür bezahlt! Heute wird allerdings synonym verwendet „arbeiten = irgendwas tun, wofür ich bezahlt werde“. Das möchte ich mit dem Kontext, welcher hier hergestellt wurde, radikal in Frage stellen.

Lasst uns loben, was wir aus intrinsischer Motivation tun, anstatt aus dem Zwang heraus „Geld zu machen“. Lasst uns immer die Frage stellen, welche Folgen unser Handeln hat – wer leidet darunter, wer profitiert davon? Lasst uns dem bürgerlichen Mantra „(Erwerbs-)Arbeit ist notwendig und gut“ abschwören. Lasst uns wagen, unsere Zeit für das zu nutzen, was wir selbst für sinnvoll halten. Und ja, hier wird es plötzlich kompliziert und radikal. Wenn ich gerade zur Miete und in der Stadt wohne, dann brauche ich doch Geld, um meine Bedürfnisse zu befriedigen. Was soll ich tun? Hier einige Gedanken zu den möglichen Lösungen.

Noch einmal zur Produktivität: de facto verläuft die wirtschaftliche Entwicklung mit Kapitalismus und Industrialisierung so, dass nach der Befriedigung der Grundbedürfnisse, welche mit immer weniger Aufwand möglich wird, neue Bedürfnisse geweckt werden müssen. Es werden sogar Kriege geführt um Absatzmärkte zu erobern. Es werden Millionen für die Werbung ausgegeben und Produkte absichtlich so hergestellt, dass sie nicht lange halten. Alles, damit weiter produziert und konsumiert werden kann. Alles nicht neu? Eben. Wieso ist es dann so schwer, sich vorzustellen, dass wir gar nicht alle Menschen im Arbeitsprozess brauchen würden?

Es gab in den 60iger Jahren Science-Fiction-Werke, in denen mensch sich vorstellte, dass künftig Roboter die Arbeit für uns machen. Menschen könnten dann alle Künstler und Philosophen sein, da wir nicht nur Zeit dafür, sondern auch den Kopf frei hätten. Eigentlich sind wir an diesem Punkt angekommen. Da sich die Gesellschaft aber eher entlang der wirtschaftlichen Effizienzlogik entwickelt hat, anstatt den Wert von Zeit und Arbeit neu zu definieren, müssen wir Angst haben, den Arbeitsplatz zu verlieren, anstatt uns darüber zu freuen ihn nicht mehr zu brauchen. Warum? Weil Erwerbsarbeit weiterhin die einzig legitime Möglichkeit ist, am Verteilungsmechanismus der geschaffenen Werte teilzuhaben.

Mögliche Lösungen sehe ich im Grundeinkommen und der Besteuerung der Arbeitsleistung von Maschinen.

Filme

Captain Fantastic.
Ein absolut großartiger Film, der die Zwänge zeigt, auf die mensch stößt, bei dem Versuch konsequent das Richtige zu tun. Viele Philosophien, Perspektiven und Begriffe enthalten. Ein vollständiges Hinterfragen der westlichen Zivilisation. Und nebenbei ein spannender, unterhaltsamer Film mit tollen Schauspieler*innen. Dieser Trailer ist mäßig, schaut den Film!

The American Dream: understanding money and the banking system.
(engl.) Ein historischer Abriss als Comic: wie funktioniert Geld heute und wie wurden Banken, was sie heute sind? Aus Sicht der USA, aber da dieses System dominiert, absolut aussagekräftig für uns alle. Mit einigen guten Zitaten und Daten. (das einzig unbekömmliche ist Sexismus im Video und die Verkürzung auf die Rothschilds, gab über die Zeit genügend andere, die sich dem Finanzsystem verschrieben haben, als antisemitisch würde ichs aber keinesfalls einstufen) –> Youtube vergleiche Klassiker Geld aus Schulden

Klimakrise

Mir fiel kürzlich auf, dass es in Berichten über den Klimawandel häufig heißt, das Thema sei plötzlich auf die Tagesordnung gekommen. Oder noch vor zehn Jahren hätte da niemand drüber nachgedacht. Auf einmal haben wir diese Herausforderung.

Aber das stimmt schlichtweg nicht. Es versträrkt bei Skeptikern vielleicht das Glaubwürdigkeitsproblem im Sinne „wie kann es denn sein, dass auf einmal so etwas drastisches gelten und unser Leben umkrempeln soll? Das kann doch alles nicht sein!“ – Und das ist gefährlich.

Es kann auch sein, dass Medien das gern sagen, da sich Neuigkeiten immer besser verkaufen… Es kann sein, dass Politiker das gern sagen, damit man sie nicht in die Pflicht nimmt, dass sie seit Jahren ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden sind. Wenn das Problem erst neu ist, kann doch niemand verlangen, dass wir schon fertige Lösungen haben. Es kann sein, dass wir psychologisch gesehen alle den Hang zur Notlüge haben. Wir geben uns lieber überrumpelt, als zuzugeben, dass wir eigentlich schon ewig verdrängen, dass wir etwas tun sollten.

Ich habe mich dabei ertappt, dass es auch auf mich Eindruck macht, wenn von einer plötzlichen, großen – ja epischen – Herausforderung gesprochen wird. Wenn Erkenntnisse darüber anmoderiert werden, wie wir mit einer gewissen Trägheit über einen tipping point hinaus rauschen könnten (aktuell sieht alles danach aus! Der bereits angerichtete Schaden wirkt weiter, bis es besser wird, könnte es schon zu spät sein!) – das schockiert mich. Aber es ist eben auch irgendwie Quatsch. Denn es paralysiert anstatt in kleinen, vorstellbaren Schritten zum Handeln zu motivieren. Und es ignoriert die lange Geschichte, die zur Erkenntnis vom Treibhaus-Effekt geführt hat und die schon lange im kollektiven Bewusstsein herumdümpelt, ohne dass sich irgend jemand persönlich angesprochen fühlte. Kostprobe? Hier mal eine willkürliche Liste aus Beispielen, die mir spontan einfielen – (weit entfernt von vollständig oder aufeinander aufbauend):

1973 – Film: Soylent Green
1976 – Anhörung im Kongress der USA, der junge Abgeordnete Al Gore lässt Wissenschaftler vor Politikern zum Thema Klimawandel sprechen
ab 1990 – Zeichentrick-Serie: Captain Planet (mindestens 1992 gab es auch eine Folge über den Treibhauseffekt)
1992 – Musik: Saxon „Hole in the Sky“ (über das Ozonloch)
1995 – Film: Waterworld

Mit dieser – wie gesagt kleinen und rein willkürlichen – Auswahl sollte mensch bewusst werden, wie lange bereits dramatische Warnungen vor menschlichem Einfluss auf Klima und Ökosystem einem breiteren Publikum zugänglich sind. Es ist nicht entschuldbar, bei diesem Thema überrascht zu tun oder rumzueiern, dass unklar wäre, was es mit dem eigenen Verhalten zu tun hat. Jede*r kann aktiv werden und wir sind aufgefordert uns schnellstmöglich zusammen zu tun, um echte Rettungsmaßnahmen einzuleiten! Wenn es Streiks oder Revolutionen braucht, dann ist das eben so. Jetzt mal anzufangen, sich mit dem Thema zu befassen, ist absolut lächerlich!



neue, frische Demokratie

Wie ihr als Leser vielleicht bereits empfindet oder in den Problembeschreibungen gesehen habt: wir brauchen frischen Wind in der Demokratie! Im Demokratieverständnis und auch in den konkreten Methoden. Bei genauerem Nachdenken und Anregungen von unterschiedlicher Seite, war ich überrascht, wie viele Optionen es da gibt.

…und wie man als Politikwissenschafts-Student mit einem Brett vorm Kopf herumlaufen und nur winzige Ausschnitte der möglichen Welt sehen kann. Während meines Studiums war ich sehr angestrengt damit beschäftigt, die Beschreibungen des Ist-Zustandes zu verstehen und zu überprüfen, die andere Wissenschaftler angefertigt haben. Analysen des Möglichen oder konkrete Fehlersuche im Bestehenden gab es nur in engen Rahmen – wieder eingeschränkt durch andere Bereiche des (erst einmal so hinzunehmenden) Ist-Zustands. Kein weißes Blatt, vor dem mensch kreativ werden kann, keine Befähigung „out of the box“ zu denken…

Demokratie ist dieses Ding mit dem Abstimmen, richtig? Am besten natürlich als direkte Demokratie, alle Betroffenen kommen zusammen und dann wird die Hand gehoben, wo ich dafür bin. Soweit so gut. Aber da hat die Geschichte ja nun einige andere Wege beschritten (aus vielen spannenden Gründen, die ich hier gar nicht alle beleuchten kann).

Bleiben wir doch nochmal kurz bei der Abstimmung: warum müssen eigentlich Fürstimmen für fertige Vorschläge gesammelt werden?

Sofern es also um Entscheidungen geht, die von einem relativ kleinen Kreis von Menschen getroffen werden können, ist es möglich, mit direkten Vorschlägen zu arbeiten:

Subsidiaritätsprinzip: Heißt, dass Entscheidungen auf so niedriger Ebene beschlossen werden sollen, wie möglich. Also beispielsweise kann der Bau einer Schule in Stadt oder Gemeinde beschlossen werden, die Einführung einer landesweiten Steuer aber erst auf Landesebene.

Wir sammeln auf einer Tafel oder digital oder wie auch immer die vorhandenen Vorschläge und ändern sie während der Abstimmung noch ab. Ich muss also nicht auf Gedeih und Verderb einer Idee zustimmen oder sie ablehnen, sondern ich kann sagen „ja, wäre ich dabei, aber nur wenn…“ Das funktioniert natürlich nur in begrenztem Rahmen und nur, wenn alle Beteiligten bereits vorher Zeit zur Vorbereitung hatten. Gut wäre da auch, wenn ein erstes Set an Vorschlägen bereits zur Vorbereitungszeit vorläge.

In so einem Rahmen ist es meiner Meinung nach sinnvoll, konkret von der Entscheidung Betroffene und Experten einzuladen. Wenn zum Beispiel neue Abwasserkanäle gebaut werden müssen, könnte ein Tiefbauingenieur, eine Wasserwirtschaftlerin, einige zufällig ausgewählte Anwohner*innen und die Chefin der Abwasser-Aufbereitung der Gemeinde eingeladen werden. Für solche Entscheidungen sind diese Personen besser geeignet, als Parteipolitiker*innen.

Um immer wieder neue Perspektiven einzubeziehen, Realitätsverlust der Amtspersonen und einen Lobby-Filz zu verhindern, ist es überhaupt sinnvoll, für verschiedene Ämter wieder das Los entscheiden zu lassen. So, wie es im antiken Athen schon war. Das würde zum Beispiel die Verflechtungen weitgehend verhindern, die es heute gibt: Konzerne sponsern Parteiwahlkampf und knüpfen Kontakte zu Politikern, die sich auf ein Ressort spezialisieren, dann werden diese später vielleicht noch Aufsichtsrat des Konzerns… (Stichwort „Drehtür-Effekt“) Wenn jede*r plötzlich berufen werden kann, wie Schöffen zum Gericht, dann ist dieses Anbandeln mit „den Richtigen“ nahezu unmöglich.

Außerdem natürlich kann eine Gruppe dazu übergehen, Widerstände zu testen und einen Konsens zu suchen, anstatt Unterstützung zu testen und konkurrierende Vorschläge ins Rennen zu schicken. Ich bin da gar kein Experte, aber hier hat Christian Felber (bekannt von der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung) das am Beispiel Einkommens-Ungleichheit gemacht. Da wird auch der Begriff genannt: Systemisches Konsensieren. Es gibt darüber viele spannende Aussagen und Experimente, klickt euch doch mal durchs Netz 😉

An solchen Beispielen könnt ihr sehen, dass es viele unterschiedliche Möglichkeiten gibt, zu demokratischen Entscheidungen zu kommen. Grundlegend greift der Apell an eine demokratische Öffentlichkeit, wie er häufig bei politischen Sonntagsreden geäußert wird, zu kurz – sofern es keine realen Möglichkeiten gibt, sich als Bürger*in mal wirklich demokratisch auszuprobieren. Ich plädiere also für zwei Dinge: eine Methodenvielfalt bei demokratischen Entscheidungsprozessen aktiv zu fördern und möglichst viel Raum zu geben, diese zu erproben (was bedeutet, einige Entscheidungen auf möglichst niedrige Ebene zurückzugeben und von Betroffenen selbst finden zu lassen). Denn woher soll ein demokratisches Bewusstsein kommen, wenn ich nur Konsument*in von Politik, aber nicht handelnde*r Akteur*in bin? Bewusstsein bildet sich aus Erfahrung und die mache ich besser durch Handeln als durch mittelbares Beobachten.

Ich habe in TV-Beiträgen Beispiele gesehen, wo Kommunen damit experimentieren. Es ist also nicht nur machbar, es wird sogar zaghaft gemacht. Kommunen und Kieze können Projekte zur Bürger*innen-beteiligung vorbereiten und moderieren, dann ist es möglich, echte Erfahrungen mit der Demokratie zu machen. Einfach einen Rundbrief schreiben und den bereits (eher zur Unselbstständigkeit) sozialisierten zuzurufen „Macht mal“ wird natürlich nicht funktionieren. Solche Argumente höre ich ja ab und zu – „Na die Menschen wollen doch gar nicht, wenn du die alle in einen Raum setzt, streiten die doch nur und dann setzen sich die lautesten durch.“ – richtig, so etwas kann passieren, wenn die Bürger*innen weder Losverfahren noch Konsens ernst nehmen, sie eher negative Erfahrungen mit der repräsentativen Demokratie gemacht haben und ihnen die Kreativität bei „ernsten Themen“ erfolgreich abtrainiert wurde. Dieser Zustand ist allerdings menschengemacht und kann ebenso von Menschen geändert werden.

Beispiel Filderstadt bei Stuttgart in einer interessanten, aber aufgrund des deprimierenden Starts und der kontroversen Thesen auch anstrengenden, Doku (ab Minute 34:20)

Außerdem möchte ich auf Partizipation in Kitas und Schulen hinweisen, hier gibt es gute Beispiele, wie Erziehung zu verantwortungsbewussten, prosozialen Menschen gelingt. Überzeugender Hintergrund dazu kommt von Gerald Hüther, Armin Krenz und Jesper Juul. Persönlichkeitsbildung, die möglichst früh startet und psychologische Erkenntnisse zu Gruppenprozessen ernst nimmt, kann sehr wohl den entscheidenden Unterschied machen, dass Menschen einer Gemeinschaft eine gelingende Demokratie gestalten.