große Fragen und Motivationsloch

Es ist Ende Februar 2021. Kürzlich habe ich bemerkt, dass ich ganz schön zynisch geworden bin, wenn es um Zukunftsperspektiven und praktische Fragen meines sozialen Engagements geht. Was ist zwischen 2018 – wo ich noch recht kämpferisch und idealistisch war – und 2021 passiert? Bin ich einfach nur älter geworden, sickert das “Mitte-30-Gefühl” langsam durch? Nein! Dazwischen war noch was: da war die Eskalation des Trumpismus, QAnon, Querdenken… Da war zu beobachten, wie China mit allem, was machiavellistisch-unmoralisch ist, nicht nur davonkommt, sondern Erfolge feiert und für “Pragmatiker” gar eine Vorbildwirkung haben könnte. Genau: ich schreibe bewusst von den Reaktionen der Menschheit auf das neue Corona-Virus und nicht von der Pandemie als Krise selbst. Dass Probleme auftreten, ist nicht weiter schockierend, damit muss man rechnen, das ist halb so wild. Schlimm wird es, wenn sich dann überall die Fratze menschlicher Niedertracht und des Selbstbetrugs zeigt. Schlimm wird, wenn wir uns nicht nur schwer tun, besagte Probleme zu lösen, sondern auf Jahrzehnte hinaus neue Wunden aufreißen, die alle errungenen Erfolge der Zivilisation in Frage stellen – kurz wenn sich das Wesen des Menschen als größeres Problem herausstellt, als die Probleme, mit denen die Menschen “von außen” konfrontiert sind.

In so einer Situation geht es ans Eingemachte. Da steht die Frage nach dem Sinn im Raum. Lohnt sich das Hoffen? Wenn ja für wen und worauf? Dann hilft ein Blick in die Geschichte, um ein bisschen aus der eigenen Blase “heraus zu zoomen”. Ich muss zugeben, das führt mich direkt zum Zynismus zurück. Aber auch einer gewissen Abgeklärtheit. Mich kann es beruhigen, aber ob es richtig ist, ob die Frage nach gut oder schlecht hier überhaupt noch Raum hat, beginnt sich aufzulösen im Zoom, der immer weiter in den Kosmos hinausfliegt – was kümmert den Planet Erde der Mensch? Das Devon und das Ordovizium haben geendet, es gab das Perm-Massenaussterben und das ikonische Ende der Dinosaurier… Das Antropozän wird auch enden. Und dann dieses lächerliche Sonnensystem irgendwo in einem Arm der Milchstraße. Und die Milchstraße irgendwo in einem Kosmos voller unterschiedlicher Galaxien und nichtmal was dieser Kosmos ist, ob er Paralleluniversen hat, ob er selbst als Ganzes ein endloser Kreislauf aus Wiedergeburten ist – wir wissen nichts! Sich jetzt selbst so ernst zu nehmen, dass die Probleme der Menschen, die 2021 (nach einer an sich schon ziemlich lächerlichen und selbstbezogenen Zeitrechnung!) leben, irgendeine Rolle spielen würden – wäre das nicht lächerlich? Würde es sich nicht einreihen in diese ständige Arroganz, dass genau der kleine Ausschnitt, den man selbst sehen kann, der wichtigste der Welt sei? Also sowas wie “first world problems” oder die Arroganz der “westlichen Demokratien”?

Und nochmal zurück zur mittleren Auflösung irgendwo zischen der Frage wann die Baumärkte wieder öffnen und den Grenzen des Universums: also der angesprochenen Geschichte. Was wissen wir denn über die großartigen Reiche? Sie haben versucht Legitimität herzustellen. Es haben sich soziale Ordnungen und Moral entwickelt. Schon im Gilgamesch-Epos stellt sich die Frage nach Sinn und Gerechtigkeit. Wir können davon ausgehen, dass dies die erste noch erhaltene Überlieferung, aber nicht das erste Mal ist, dass Menschen ganze Epen und Glaubenssysteme rund um diese Fragen gebastelt haben. Aber dennoch bestehen die Probleme weiter: Machtmissbrauch, Ressourcenverschwendung, Gesetzesbrüche aller Art und am Ende geht das Reich unter. Immer wieder. Sie alle haben sich mit den Problemen ihrer Zeit auseinandergesetzt, sie hielten es für wichtig, ob sie Steuern und Zölle an Troja zahlen müssen, ob sie zu Marduk oder Ischtar beten sollen, ob der Kaiser die Ordnung des Himmels verkörpert, ob sie genug geopfert haben, damit die Sonne wieder aufgeht, ob sie mutig genug sind nach Valhal zu kommen… Und dann ging das Reich unter. Also was soll der Quatsch? Soll ich mir Sorgen um die neofaschistische Internationale machen? Haben die Menschen Recht, die von mir verlangen, mich kritischer mit meinen Privilegien auseinanderzusetzen? Soll ich für Elektromobilität kämpfen – oder lieber gleich das Ende motorisierten Individualverkehrs? Muss ich mir Sorgen machen, was für Menschen aus den Schüler*innen werden, die prägende Jahre ihrer Jugend im Lockdown verbringen? Keine Ahnung.

Bei all der Ratlosigkeit bleibt, dass ich nicht daran glauben kann, dass wir jetzt besser wissen, als alle Vorgänger-Generationen, wo wir stehen und wo wir hin müssen. Wäre ja auch ziemlich vermessen. Das fängt ja schon beim “wir” an – das spaltet sich gerade gehörig auf und so sehr ich Spaltung und Gräben vermeiden möchte, mit einigen, die sich da gerade offenbaren, möchte ich mich auch nicht gemein machen. Zack! Schon wieder ein unlösbarer Widerspruch. Also wird es wohl kommen wie immer mit der Menschheit: es geht irgendwie weiter (wenn wir nicht zu weit heraus zoomen). Es wird Gruppen geben, die unterschiedliches anstreben. Es wird Rückschläge geben für Gruppen und Ideale. Und es wird nichts besser, unterm Strich.

Die entscheidende Frage könnte sein: ist der endlose und aussichtslose Kampf “der Guten” (gibt es natürlich per se nicht, aber gewisse Ideale und moralische Ansprüche haben sich ja über die Zeit bewährt) notwendig? Müssen die Hobbits permanent den Saurons und Sarumans die Stirn bieten, nur damit es keinen endgültigen Absturz gibt? Oder ist es eine individuell-philosophische Frage, ob wir besser leben, wenn wir an irgendwas glauben? Geht es bei der Entscheidung, sich um die Welt in der wir leben zu sorgen, nicht um die Welt, sondern unser eigenes Wohlergehen? Ist das einfach eine Beziehung, die mensch pflegen sollte, um sich nicht zu entfremden? Zumindest bin ich aktuell nicht in der Lage, eine Perspektive einzunehmen, die mich zu konkreten Schritten aus meiner Komfortzone heraus motiviert. Und das wiederum fühlt sich auch nicht schlecht an. Ist nur nicht sonderlich im Geiste des Silberstreif-Untertitels.