Arbeit und Sinn

Ein Mantra der bürgerlichen Gesellschaft ist, dass Arbeit sowohl etwas notwendiges, als auch rundum gutes sei. Beidem möchte ich widersprechen. Die Argumentation wird deutlicher, wenn ich mit „gut“ anfange. Ist es wirklich gut, wenn ein Immobilienmakler von der Vermieterin/Verkäuferin bestellt werden kann, der Mieter/Käufer auf ihn angewiesen ist, um einen Vertrag zu schließen, aber letztlich nur ordentlich draufzahlt? Dafür, dass der Makler im Zweifelsfall nur aufschließt, totalen Quatsch erzählt und dir eine Karte mit der Adresse gibt, an die du alle Unterlagen schicken sollst? Das wurde ja wohl weitgehend abgeschafft, eben weil es offensichtlich nicht fair ist. Aber bis dahin galt es doch als respektabel, wenn man sagt „ich bin im Immobiliengeschäft“?!?
Anderes Beispiel: eine Angestellte der Rüstungsindustrie, die Granatenzünder entwickelt, Raketenleitsysteme programmiert oder beim Aufbau der Fabriken im Ausland hilft, mit denen der Konzern die Export-Auflagen umgehen kann. Ist das gut, dass sie diese Arbeit macht?
Oder die Unternehmensberaterin, die viel verdient, deren Ratschläge von den namhaftesten Unternehmen befolgt werden, die ständig im Arbeitsmodus ist – das ist doch Leistungsprinzip pur, oder? Vielleicht rät sie aber auch nur zu geschickter Bilanzbuchhaltung mit Tochterfirmen (die sich alles gegenseitig in Rechnung stellen), wodurch der namhafte Konzern viel Steuern spart. Und sie rät, Angestellte zu entlassen und als Freelancer, Zeitarbeiter*innen usw. wieder anzustellen. Und sie rät, bei der Regierung den Fachkräftemangel anzuprangern, damit es Programme aus Steuergeldern gibt, die die Ausbildung finanzieren. Der Konzern kauft dann die berühmte eierlegende Wollmilchsau zum Einstiegsgehalt. Wo kämen wir als Wirtschaftsstandort denn hin, wenn sich nicht jederzeit 24-Jährige Masterabsolvent*innen mit drei Fremdsprachen, Praxiserfahrung und Reisebereitschaft über die Wochenenden finden ließen? Richtig! Das wäre ein skandalöser Wettbewerbsnachteil und schlichtweg Fachkräftemangel. Ist es gut, dass jemand diese Arbeit macht? Schön, dass sie einen gesellschaftlichen Druck auf alles und jeden erzeugen, dass jede*r mehr leisten und weniger kosten muss? Immer noch besser, diese Menschen machen in Immobilien, der Rüstung, dem Consulting als sie wären arbeitslos? Ich glaube nicht!
Es ist also nicht per se gut, dass jemand arbeitet, die entscheidende Frage ist was jemand arbeitet. Damit sind wir dann bei der Notwendigkeit. Jemand, der/die nichts beiträgt, hat auch keinen Anspruch auf Essen, ein Bett usw. – richtig? Mh, aber wenn der Beitrag darin besteht, einer alten Dame eine Versicherung zu verkaufen, die diese niemals brauchen wird, dann ist es ok, denn dieses Geld ist ja legal verdient worden? An den bereits genannten Beispielen wird deutlich, dass es jede Menge Arbeit gibt, die keinen Mehrwert für die Gesellschaft erzeugt, sondern Gewinn für wenige auf Kosten vieler. Wenn diese Menschen plötzlich nicht mehr arbeiten würden, würde dann ein nützlicher Beitrag fehlen? Hätten wir dann keine Betten und kein Essen mehr?

Hier kommt ein entscheidender Faktor hinzu, den wir gern übersehen: die Produktivitätssteigerung. Die Arbeitsmoral a la „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ macht dann Sinn, wenn wir jede*n brauchen, um unsere Grundbedürfnisse zu befriedigen. Und dann haben wir auch ganz andere Arbeit: dann haben wir Gruppen von Menschen, die sehen, was gebraucht wird. Die sich gegenseitig helfen. Das war teilweise sogar schon in der Mangelwirtschaft der DDR zu beobachten. Aber wenn es wirklich ums Überleben geht, wird Arbeit als sinnvoll erlebt. Wenn ich eine Hütte brauche, um im Winter nicht zu erfrieren, bin ich motiviert, diese Hütte fertig zu bekommen. Wenn ich Hunger habe, lege ich auch ein Feld an oder gehe Beeren und Wurzeln sammeln. Dafür muss mich keiner bezahlen! Dafür muss kein Wecker klingeln und ich mir die Frage stellen „wofür zur Hölle, soll ich jetzt eigentlich aufstehen?“.
Nächster entscheidender Faktor, den wir oft übersehen: Arbeit ist nicht gleich Erwerbsarbeit. Ich kann sehr wohl etwas sinnvolles schaffen, ohne dass mich jemand dafür bezahlt! Heute wird allerdings synonym verwendet „arbeiten = irgendwas tun, wofür ich bezahlt werde“. Das möchte ich mit dem Kontext, welcher hier hergestellt wurde, radikal in Frage stellen.

Lasst uns loben, was wir aus intrinsischer Motivation tun, anstatt aus dem Zwang heraus „Geld zu machen“. Lasst uns immer die Frage stellen, welche Folgen unser Handeln hat – wer leidet darunter, wer profitiert davon? Lasst uns dem bürgerlichen Mantra „(Erwerbs-)Arbeit ist notwendig und gut“ abschwören. Lasst uns wagen, unsere Zeit für das zu nutzen, was wir selbst für sinnvoll halten. Und ja, hier wird es plötzlich kompliziert und radikal. Wenn ich gerade zur Miete und in der Stadt wohne, dann brauche ich doch Geld, um meine Bedürfnisse zu befriedigen. Was soll ich tun? Hier einige Gedanken zu den möglichen Lösungen.

Noch einmal zur Produktivität: de facto verläuft die wirtschaftliche Entwicklung mit Kapitalismus und Industrialisierung so, dass nach der Befriedigung der Grundbedürfnisse, welche mit immer weniger Aufwand möglich wird, neue Bedürfnisse geweckt werden müssen. Es werden sogar Kriege geführt um Absatzmärkte zu erobern. Es werden Millionen für die Werbung ausgegeben und Produkte absichtlich so hergestellt, dass sie nicht lange halten. Alles, damit weiter produziert und konsumiert werden kann. Alles nicht neu? Eben. Wieso ist es dann so schwer, sich vorzustellen, dass wir gar nicht alle Menschen im Arbeitsprozess brauchen würden?

Es gab in den 60iger Jahren Science-Fiction-Werke, in denen mensch sich vorstellte, dass künftig Roboter die Arbeit für uns machen. Menschen könnten dann alle Künstler und Philosophen sein, da wir nicht nur Zeit dafür, sondern auch den Kopf frei hätten. Eigentlich sind wir an diesem Punkt angekommen. Da sich die Gesellschaft aber eher entlang der wirtschaftlichen Effizienzlogik entwickelt hat, anstatt den Wert von Zeit und Arbeit neu zu definieren, müssen wir Angst haben, den Arbeitsplatz zu verlieren, anstatt uns darüber zu freuen ihn nicht mehr zu brauchen. Warum? Weil Erwerbsarbeit weiterhin die einzig legitime Möglichkeit ist, am Verteilungsmechanismus der geschaffenen Werte teilzuhaben.

Mögliche Lösungen sehe ich im Grundeinkommen und der Besteuerung der Arbeitsleistung von Maschinen.