Neue Rechte und Corona-Gegner

Natürlich ist der Begriff „Corona-Gegner“ irgendwie unscharf und streng genommen Humbug (was dann ja wieder ausgesprochen treffend ist). Aber ich bleibe einfach mal dabei, weil ja im Wesentlichen klar ist, wer damit gemeint ist. Die Tatsache, dass sich Menschen, die sich in der Pandemie lieber an Verschwörungsmythen wenden, als sich der unangenehm vertrackten Realität zu stellen, massenweise von rechts vereinnahmen lassen, ist der eigentliche Grund, wieso ich diesen Artikel für wichtig genug hielt, ihn zu schreiben und hier zu veröffentlichen. Denn diese neue „Allianz aus Versehen“ ist beängstigend. Wie schon erwähnt deuten die Arte-Dokus sehr gut auf die Strategien und Arbeiten im Hintergrund hin, die die Entwicklung für sich nutzen wollen – und alles andere als zufällig aussehen lassen. Das Internet und die Pandemie sind beste Voraussetzungen, um zu spalten und Narrative von Notwehr in die Köpfe zu bringen. Und da es ja bereits mit den Verschiebungen in der Geo-Politik und der Klimakrise genug Themen gab, die zu Verunsicherung führen können, ist es eine gute Zeit für zynische Akteure aus dem rechten Spektrum (was ja für beide Dokus gilt). Sie nutzen die Lage für sich. Sie müssen weder von einem Ideal überzeugen, dem sich Menschen anschließen, noch müssen sie konsistent gegen etwas argumentieren. Ihnen reicht es, die Verunsicherung zu einer Zersplitterung auszubauen und die mediale Aufmerksamkeit für groteske Narrative zu nutzen. Das groteskeste, was ich in diesem Kontext beobachtet habe und erst einmal verstehen musste, ist die Verharmlosung des Dritten Reichs. Man möchte meinen, dass überzeugte Nazis dieses verteidigen oder glorifizieren möchten. Das allerdings fällt sofort auf und wird zu Recht ausgegrenzt und verurteilt. Wenn Menschen des rechten Spektrums aber plötzlich überall „Meinungsdiktatur“, „Impf-Terror“ und „Machtergreifung“ wittern, dann ist das paradox. Seit wann finden Nazis Diktaturen schlecht und verteidigen unsere staatsbürgerlichen Freiheiten? Ganz einfach: tun sie nicht. Sie haben nur erkannt, dass sich Grenzen zwischen Recht und Unrecht verwischen lassen, wenn ich die Kritik an jenen, die sich nicht impfen lassen wollen, mit Pogromen und Ausgrenzung von Juden gleichsetze. Auf einmal stellen sich Verteidiger nationalistisch-völkischer Ideale selbst als Juden dar. Noch immer, auch wenn ich es sachlich zu verstehen beginne, schüttelt es mich – einerseits schüttel ich ungläubig den Kopf und andererseits schüttelt mich der Ekel. Das meine ich mit Zynismus. Wie offen unaufrichtig kann man eigentlich sein? Und trotzdem noch Anhänger finden „die einem glauben“? Ein Irrsinn! So irre, dass vermutlich viele Corona-Schwurbler noch gar nicht gemerkt haben, in welcher Suppe sie schwimmen.

Was soll das Ganze jetzt bringen? Junge Menschen, die ihre Identität und ihr politisches Verständnis in dieser Zeit erst entwickeln, werden reihenweise auf allen online-Kanälen mit kruden Ansichten bombardiert. Ich würde mal behaupten, dieses Gewirr ist schwieriger als Beeinflussung zu enttarnen und zu hinterfragen, als die Beeinflussung, die wir ja auch hatten. Dass Deutschland geläutert und der Welt wohlgesonnen ist, dass die USA unser Freund sind und der Kapitalismus ein Heilsbringer, dass es in der BRD keine Korruption gibt und eigentlich alles super läuft – außer irgendwelche radikalen Spinner quatschen dazwischen – das wurde mehr oder weniger so präsentiert. In diesem Sinne natürlich, dass die Ossis froh sein sollten, wie durch ein Wunder ihre Freiheit erlangt und mit freundlicher Hilfestellung in dieser BRD willkommen geheißen worden zu sein… Das war auch Beeinflussung, aber das ließ sich doch relativ gut durchschauen und war möglicherweise von gutem Willen getragen oder zumindest nicht total im Widerspruch zu einem solchen. Die für-queren Ansichten, die Verschwörungsschwurbler und Neu-Rechte hier in die Welt setzen (vermutlich, die Verwirrung unterstützend, ergänzt durch alle möglichen Trolle, denen der Niedergang westlicher Gesellschaften gelegen kommt), dürften schwieriger zu verstehen sein. Junge Menschen also, die sich in dieser wirren Zeit selbst politisch sozialisieren, werden nun gezielt dieser Relativierung von Begriffen wie Diktatur oder Zensur ausgesetzt.

Im Einzelnen sind die Thesen ja noch gut widerlegbar, vor allem, wenn man ihre Stoßrichtung erst einmal erkannt hat. Also wenn da einer mit einem Schild „Meinungsdiktatur“ hinter ranghohen Politikern steht und von Reportern vor laufender Kamera gefragt wird, wie er das meint, entbehrt das nicht einer gewissen Komik. Soll er doch mal in einer echten Diktatur versuchen – zum Beispiel beim Parteitag der KP Chinas oder bei einer Inszenierung von Erdogan mit einem Schild „Diktatur“ auf live-Bilder im Fernsehen zu kommen, direkt neben amtierenden Ministern und Staatschefs. Dann würde ihm der Unterschied möglicherweise bewusst. Aber in der Gesamtheit des Störfeuers ist es schon einigermaßen schwierig, die Orientierung zu behalten. Ob sich für die nächsten Generationen halten lässt, was wir als Lehren aus der Sprache der Nazis gelernt haben? Ob sich die Brandmauer halten wird, die zur Holocaust-Leugnung und dem falsch verstandenem Zensur-Vorwurf (*) errichtet wurde? Das ist derzeit offen. Und darin liegt wohl das wahre Ziel dieses auf den ersten Blick völligen Unfugs von gelben Judensternen mit der Aufschrift „ungeimpft“. Wenn Nazis und ihr vergiftendes Vokabular nicht mehr als solches erkennbar, aber trotzdem allgegenwärtig sind, haben sie deutlich bessere Chancen auf ein Comeback als noch vor wenigen Jahren denkbar war. Es ist schon erstaunlich mit welcher dreisten Konsequenz in den letzten Monaten alles, was man normalerweise rechten Gruppierungen vorwirft – oder nur als intimer Kenner der Geschichte aus dem Dritten Reich kennt – plötzlich Journalisten, Demokraten und Linken vorgeworfen wird. Völlig unabhängig von den Fakten wird das Vokabular herumgedreht und damit verschlissen, denn ab jetzt bedeutet es nichts mehr, wenn jemand „Machtergreifung“ oder „KZ“ oder „menschenverachtend“ sagt. Ab jetzt muss man immer erstmal schauen, wer und in welchem Kontext das sagt, um zu wissen, ob es in seiner eigentlichen Bedeutung verwendet wird oder mit genau gegenteiliger Intention. Das ist kaum zu leisten, wenn man es nicht als sportliche Herausforderung begreift. Ob es ein Zufall ist, dass diese Offensive jetzt kommt, wo es kaum noch Überlebende gibt, die die Sprache des Dritten Reiches selbst erlebt haben?

* Das ist ein weiteres Beispiel: Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird (absichtlich?) verwechselt mit einem Recht darauf, überall gehört zu werden und unwidersprochen zu bleiben. Denn oft schreien ja Teilnehmer von Corona-Demos laut in die Gegend (im übertragenen Sinne auch online) und beschweren sich dann, wenn man das nicht weitergeben und zitieren will, wenn man dem keine Bühne geben will oder es als Vorlage zum Widerspruch nimmt, dass sie zensiert und mundtot gemacht würden. Aber so ist es nun mal nicht. Ich könnte ja nicht darüber schreiben, ich würde von ihrer Existenz gar nichts wissen, wenn sie wirklich derart zensiert würden. Sie durften Ihre Meinung frei äußern und andere dürfen frei entscheiden, ob sie sich das anhören, das weitergeben oder dem widersprechen wollen. Vorher ging es noch um die Äußerungen von Rechtsradikalen, die als Meinung getarnt waren oder deren Grenzen austesteten, obwohl sie als Verleumdung, Diffamierung und Hetze verwandt wurden. Nun geht es schon um den Anspruch, dafür eine Bühne zu bekommen.

Gedanken zur Geopolitik

Dieses Feld ist für mich persönlich ziemlich spannungsgeladen, da ich eigentlich mit dem Pazifismus sympathisiere. Dennoch denke ich manchmal als Realist. Und aktuell beobachte ich leider eine Dynamik auf diesem Planeten, die nicht viel Raum für Träume von Harmonie und allseitigem Wohlwollen lässt. Das wäre:
China (Beziehung aus Geschichte, Kultur und aktueller Lage)
Deutschland (Bundeswehr, Außenpolitik)
Europa (politische Lage in EU und geopolitische Situation)
NATO (Kritik Soll- & Ist-Zustand, Bezug Geschichte)
Russland, USA usw. (kurzer Kommentar, Länder tauchen verteilt im Text auf)
Auflösung der Widersprüche (Grundzüge einer gewünschten Richtung)

China.
Fakten: Unter Xi Jinping wird China zunehmend auf Nationalismus getrimmt. Es gab kürzlich erhellende Dokus (Arte) über seinen Weg zur Macht und seine Marschroute im Inneren der KP. Daraus geht klar hervor, dass er entschlossen ist, diesen Weg zu Ende zu gehen. Also Personenkult, mehr Zensur, mehr Propaganda, Ausnutzung digitaler Möglichkeiten, mehr Anstacheln nationalistischer Akteure im Inneren, Zügel in allen Bereichen wieder anziehen (die KP entscheidet über große Unternehmen in China, wer in Ungnade fällt, wird gestürzt und mundtot gemacht, soziale Medien überwachen wer aus der Reihe tanzt etc.), Ausbau militärischer Mittel über das konventionelle Heer hinaus, eigenes Raumfahrtprogramm statt Kooperation usw. usw.
Einordnung: Die Chinesen haben aus der Geschichte gelernt. Sie bleiben aber ihren alten Werten aus den Kaiserreichen treu. Für vieles, was das antike/mittelalterliche China ausgemacht hat, habe ich großen Respekt. Leider ist die Kombination für die neue Ära dennoch kein gutes Zeichen. In China galt nämlich immer Stabilität und Wohlergehen im Inneren als Top-Priorität. Dabei setzten die Kaiser oder gleich deren Beamte (die Zeitweise mehr Kontrolle als einzelne Kaiser hatten) auf Wissen statt auf (religiöse) Ideologie und offen ausgetragene Konkurrenz – wie es zur gleichen Zeit im Westen der Fall war. So erklärt sich, dass China der Welt technologisch weit voraus war und trotzdem nicht das Bedürfnis hatte, andere einzunehmen und zu bekehren. Allerdings bedingte diese Priorisierung auch, dass eben wirklich jedes Mittel recht war, um Unruhe im Inneren zu unterbinden und langfristige Planbarkeit zu sichern – die den Wohlstand herstellen sollte. In China scheint immer noch ein Konsens zu herrschen, dass dies der beste Weg ist (sozusagen nicht der Königsweg, sondern der Kaiserweg), um den größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Zahl zu erreichen. (Das klingt auch schön in den streitenden Positionen bei „Die drei Sonnen“ von Liu Cixin an.) Insofern ist das Kopfschütteln gegenüber der westlichen Forderung nach freier Meinungsäußerung, Demokratie usw. verständlich. Wenn Stabilität im Reich der Mitte ebenfalls aus dessen Mitte und vom Sohn des Himmels kommt (eine zentrale Ordnungsmacht steckt quasi in den politisch-kulturellen Genen Chinas und ist in so viel Symbolik verschachtelt) und wenn die historische Erfahrung zeigt, dass es entweder dieses starke Zentrum gibt oder Chaos und Niedergang (und dies ist in der Tat eine historische Erfahrung in China), dann ist auch klar, dass Mitsprache aller wie eine gefährliche Dummheit wirkt. Noch dazu bei einem Volk aus zwei Milliarden und mit ursprünglich zig verschiedenen Sprachen. Ergänzt wird das mit Konfuzianismus, der im Wesentlichen Hierarchie und Autorität rechtfertigt und es zur Tugend erklärt, dass alle sich anstrengen, die gemeinsamen Ziele (ausgegeben von oberster Stelle) zu erreichen. Konfuzius hat zwar auch Forderungen an Mäßigung und Weisheit der Führenden gestellt, aber es hat sich nie eine Instanz oder ein Modus entwickelt, die Einhaltung zu beobachten. Das fatale ist nun, dass China vom Westen gelernt hat und in Anwendung des Gelernten – aber verbunden mit seinen verwurzelten Werten – ein totalitäres Monstrum ohne innere Kontrollinstanz wird.
Was hat China vom Westen gelernt? Dass man nicht mehr bestehen kann, wenn man sich auf sein eigenes Territorium beschränkt. Dass es sehr hilfreich ist, andere von sich abhängig zu machen und falsche Versprechungen zu machen, die man im richtigen Moment brechen kann. Und dass der Westen unter dem Vorwand von Freihandel, Demokratie und sogar den Menschenrechten keinerlei Skrupel hat, Kanonenboot-Diplomatie, Propaganda oder schlimmeres zu betreiben. Wer sich die Geschichte der Opiumkriege oder des Antikenschmuggels nochmal zu Gemüte führt, bekommt einen Eindruck davon, wie verlogen und rücksichtslos der Westen auf China wirken muss. Dass Chinas Ausweg aus dieser Epoche ausgerechnet Maos Art von Kommunismus war, macht es nicht einfacher, vermittelnde Zwischentöne zu finden.
Verbindet man diese Erfahrungen nun mit dem vorausschauenden Pragmatismus, der in China immer ein höherer Wert war, als ideologische oder philosophisch begründete Werte – von Maos Wahn mal abgesehen – dann ergibt sich eben als logische Konsequenz, dass man einen Fünfjahresplan und noch längerfristige strategische Ziele ausgibt und die Mittel zum Erreichen dieser Ziele per se angemessen sind. Pragmatismus macht auf der anderen Seite den Charme chinesischer Philosophie zu einem guten Teil aus – dass Gegensätze pragmatisch und weise verbunden werden, anstatt einen Kampf Gut gegen Böse, Richtig gegen Falsch auszurufen. Darauf komme ich noch zurück. Aktuell aber gilt weniger die Versöhnung als die Dominanz. Die Meinungen der Konkurrenten sind einzubeziehen (als strategischer Faktor), aber nicht zu berücksichtigen. Die Alternative heißt Scheitern und ist immer nah an Chaos und Auflösungserscheinungen – daher ist klar, dass auch hartes Durchgreifen gegen Abweichler zum Beispiel bei weitem das kleinere Übel sind. Und auf diplomatischem Parkett hält man sich mit Werten, auf die man andere verpflichten will, zurück. Kann aber auch nicht verstehen, dass andere sich herausnehmen, politisches Handeln mit derlei Sentimentalitäten (die vermutlich eh wieder nur Täuschungsmanöver sind) zu begründen. Ja man hat geradezu den Eindruck hinters Licht geführt zu werden, wenn ein Land seine politische Position mit derlei ideologischen Worthülsen, statt glaubwürdigen Eigeninteressen begründet. (Ist da nicht sogar was dran – vor allem, wenn man die USA kennt?)
Vergleich: Ähnlich wie die Debatte über das Fehlen der Reformation als kollektive Erfahrung für den Islam diskutiert wurde, kann man zum Vergleich der Geschichte zwischen China und Europa bzw. Nordamerika einiges sagen. So zum Beispiel, dass China die Zersplitterung Europas nie hatte und dafür eine reiche eigene Tradition an philosophischen und politischen Denkern – so dass der Bedarf „die alten Griechen“ oder katholische Dogmen zu importieren nicht bestand. Auch der europäische Ausweg aus dauerndem Krieg um Überzeugungen (oder unter Vorgabe dieser als Grund) – nämlich im Glauben ans Aushandeln einer objektiven oder zumindest geteilten Wahrheit im Sinne griechischer Philosophen – war in China nie gefragt. Um die Wirren im alten Europa zu ordnen, wurde die Teilung von Einflusssphären etabliert. In den Wirren aus Pest (hier beginnt mittelalterliche Ordnung zu bröckeln), Reformation und Glaubenskriegen sowie den Intrigen um Thronfolge und Gebietsansprüche – nicht zuletzt aber auch der neuen Machtverteilung zwischen Bürgertum und Adel – haben Europa und die jungen USA Macht eingehegt. (Spätere Ausbrüche von Totalitarismus haben diesen Weg bestätigt.) Es gab Rechte, die in Gesetzen festgeschrieben wurden: Was darf der Staat? Was darf der Staatsbürger? Was darf die Kirche? Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative usw.
Die Ausgangslage für China ist ganz anders. Hier gab es die Erfahrung von mehreren Kaiserreichen, im Wesentlichen blieb das Reich der Mitte über viele Jahrhunderte was es war. Es gab Bürgerkriege, Palastintrigen, Mongolenüberfälle und neue Dynastien begründeten neue Hauptstädte – aber Chinas Macht, Wohlstand und überlegene Zivilisation blieben über einzelne Erschütterungen hinaus bestehen. Uralte Mythen und Religionen wurden immer weiter fortgesponnen und wandelten sich ohne direkte Brüche. Die Frage war immer, ob der Kaiser einen guten Plan hatte, Beamte, die diesem Plan folgten (statt in die eigene Tasche zu wirtschaften) und ob es gelang, die Städte und Regionen vor Naturkatastrophen und Barbaren-Überfällen zu schützen. Das Reich zu splitten in Sphären, wo unterschiedliche Wächter über die Einhaltung von Regeln wachen mussten (Legislative getrennt von Exekutive, Spiritualität getrennt von Politik, Bürger getrennt vom Kaiser) musste wie purer Irrsinn erscheinen. Es war der komplette Widerspruch zur – auch in der chinesischen Mystik gesuchten – Einheit von allem (siehe oben Philosophie und Verbindung von Gegensätzen). Bis sie irgendwann den Anschluss verpassten und gierige Kolonialmächte nach China griffen. Eben jene, die sendungsbewusst von Rechtsstaat, Bürgertum und ihrer Philosophie (jetzt eher der Naturwissenschaft) sprachen. Letztlich aber vor allem gierige Barbaren waren. Dieser Perspektivwechsel ist vielleicht für westliche Beobachter einigermaßen erhellend.
Folgen: All das heißt für heute, dass es witzlos – ohne Schuldeingeständnis zur Vergangenheit und Klartext über eigene Interessen – sogar kontraproduktiv ist, auf China einzureden. Xi Jinping hat den Willen zur Macht (und die mit Nationalismus beschallte Öffentlichkeit auch – ich kann es ihnen, im Hinblick auf das skizzierte Selbstbild, nicht einmal verdenken). Und China spürt zunehmend seine Macht auf allen Gebieten – und proportional den Niedergang des Westens, den dieser weitgehend selbst verschuldet hat. Daher fürchte ich, dass die sich abzeichnende Konfrontation unausweichlich ist. Das wiederum finde ich schrecklich, ebenso wie die totale Kontrolle im Inneren des Reichs der Mitte. Hier kann man ja durchaus mit chinesischer Philosophie und Geschichte argumentieren (was vielleicht mal eine gute Idee auf diplomatischem Parkett wäre), dass eine weichere Haltung langfristig mehr Ernte bringt. Dass ein guter Herrscher einer ist, der mehr Geduld als Härte zeigt…

Deutschland.
Die Bundeswehr: Dies ist nun ein kompletter Sprung. Zu Deutschland hole ich natürlich nicht so weit aus, sondern gehe direkt in die Details. Also ich bin überzeugter Wehrdienstverweigerer und kein Freund davon, Deutschland wieder ein starkes Militär zu verpassen und Steuergeld für Rüstung auszugeben. Andererseits finde ich es trotzdem bedenklich, wenn Hubschrauber der Marine nicht über Wasser fliegen können und überhaupt kaum einsatzbereites Gerät da ist. Einige winzige Einblicke, die eine interessierte Öffentlichkeit mal bekommt, lassen einen desaströsen Zustand vermuten. Riesige Summen versickern in Rüstungsprojekten und Beratungshonoraren, aber die Ausrüstung und die Zustände werden nicht besser. Schon einige Minister*innen sind daran gescheitert oder gar Teil des Problems gewesen. Von einer Vorbereitung auf Cyberabwehr, neue Waffensysteme und Szenarien ganz zu schweigen. Vom Thema Rechtsextremismus ebenso. Da ist mein erster Impuls dann doch, eine aufgeräumte, zweckmäßige Armee zu fordern, anstatt die komplette Abschaffung derselben. Wenn ich dann als Schlussfolgerung höre „die Bundeswehr ist in schlechtem Zustand – gebt ihr endlich mehr Geld“, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Wenn ich mit einem Eimer Wasser schöpfe und irgendwie nie Wasser drin ist, wenn ich es brauche, dann suche ich doch das Loch anstatt immer wieder neu Wasser rein zu gießen.
Außenpolitik: Ich würde behaupten, deutsche Außenpolitik seit Ende des zweiten Weltkriegs hat zwei Lehren gezogen – 1. still und leise für die (Export-)Wirtschaft arbeiten und 2. an die USA binden. Manchmal steht das eine im Widerspruch zum anderen, immer dann wird hier über deutsche Außenpolitik diskutiert, aber ansonsten gibt es wenig konsensfähige Ziele. Diese Lehren aus der Geschichte sind durchaus pragmatisch, aber besonders nobel oder ambitioniert sind sie nicht.
Zwischendurch war vielleicht die deutsch-französische Freundschaft mal relevant. Die DDR bleibt hier wie immer ausgeklammert – was natürlich auch eigene Probleme schafft und Fragen aufwirft. Aber gerade auf diese beiden Aspekte beziehe ich mal den nächsten Punkt: Deutsche Führungsrolle im geeinten Europa. Sowohl bei den sowjetischen Völkerfreundschaften als auch bei der „Verbrüderung“ mit Frankreich war die Aussöhnung und das Formen einer strategisch belastbaren Einheit das Ziel. (Problematisch natürlich, dass die deutsche Teilung zwei gegnerische Lager daraus machte und die deutsche Wiedervereinigung vor allem den europäischen Osten dabei zurückließ.) Die Idee des (unter deutscher Führung) geeinten Europa zieht sich bis in die heutige EU, taugt aber inzwischen nicht mehr zur großen Vision. Dass Deutschland als zentralem, wirtschaftsstärkstem und bevölkerungsreichstem Land Europas hier eine Schlüsselrolle zufällt, war nicht nur erwartet worden, sondern wurde auch immer wieder an verschiedenen Stellen gesagt. Innenpolitisch hat Deutschland da ähnlich reagiert wie außenpolitisch: pro Wirtschaft, pro USA. Und gar nichts ernsthaft europäisches folgte. Die Unterstützung der EU-Institutionen (mit all ihren vorhandenen Fehlern) und ihre Verteidigung gegen Anfeindungen reichen leider nicht aus. Von Anfang an haben Skeptiker der EU ein Demokratiedefizit attestiert (was Brüssel zur leichten Beute von Lobbyisten und Parteiklüngel gemacht hat und bis heute massiv Glaubwürdigkeit kostet). Dieses Versäumnis geht vielleicht weiter als bisher eingeschätzt. Es würde mich nicht wundern, wenn die Geschichte darüber ein recht hartes, zumindest kopfschüttelndes, Urteil fällen würde.

Europa.
Die EU hat es ebenfalls nicht geschafft, eine gemeinsame Vision voran zu treiben, die stärker ist, als nationale Eigeninteressen. Letztere haben sich leider auf fatale Art und Weise durchgesetzt (beginnend beim deutschen Umgang mit Griechenland während der Finanzkrise, über Orbans Autokratie in Ungarn bis hin zum national-polemischen Polen). Zwischendurch dämmerte es zwar einigen Staats-/Regierungschefs mal, dass ein starkes Europa gut wäre, dass man dafür über gemeinsame Außenpolitik nachdenken sollte und dass die Nato vielleicht doch nicht mehr die richtige Form ist oder hat, die das einzige Bündnis mit globalem Einfluss, indem Europa steckt, haben sollte. Ich denke da vor allem an Frankreich (Macron: „die NATO ist hirntod“), aber Frankreich dachte da wohl vor allem an sich. An seine alten Einflusssphären und Instrumente. Aber leider gab es nie einen Konsens. Nicht mal ein „Agreement to disagree“, ja nicht mal eine handlungsfähige Gruppe, die sich zur Suche nach einer Übereinkunft verabredet hätte. Zu der Idee später nochmal. Gerade die Hinwendung der USA zum Konflikt mit China und dem pazifischen Raum zeigt deutlich, dass Europa sich um eigene Interessen künftig selbst wird kümmern müssen. Und wenn man nicht daran glaubt, dass Russland, China, die USA und einige Schwellenländer (witzigerweise könnte man GB nach dem Brexit auf diplomatischer Bühne dazu zählen) ihre Interessen verfolgen können sollten, wie sie möchten, wenn man nicht daran glaubt, dass die auch im Konfliktfall schon die richtigen Lösungen finden werden – dann sollte man sich vielleicht selbst organisieren.
Ich kann mich erst einmal dafür erwärmen, den Streit den Streithähnen zu überlassen und sich als Europa eben gerade nicht einzumischen – wenn China und die USA z.B. wirklich einen neuen kalten Krieg aufziehen wollten oder auch den einen oder anderen heißen Konflikt, Handelskrieg, was auch immer – da wäre es doch ganz gut, keiner Seite Bündnistreue geschworen zu haben oder zwischen die Fronten zu geraten. Allerdings hat das Ganze einen Haken. Was wenn die Welt als Ganzes instabiler wird und z.B. Russland das ausnutzt? Um, während einige im Pazifik beschäftigt sind, in einer „Zuckerbrot und Peitsche“-Manier (also nicht als klarer Angriff zu deklarierende Aktionen) osteuropäische Staaten abzuwerben? Oder um mit Troll-Armeen und Desinformation weiter an der Spaltung westlicher Bevölkerung zu arbeiten und damit auf Dauer demokratische Werte unmöglich zu machen? Das sind zwar irgendwie Horrorszenarien, aber ganz sicher nicht völlig aus der Luft gegriffen. Ich bin mir nicht sicher, ob die EU, wie sie aktuell aufgestellt ist, in der Lage wäre, das wirksam zu verhindern. Und da ist eine gemeinsame Außenpolitik sicher hilfreich, selbst ohne „high end“ Militärbündnis. Aber auch dieses – wie gesagt, obwohl ich skeptisch gegenüber Militär bin – könnte nützlich oder gar notwendig werden. Es ist nun mal so, dass Diplomatie und Verständigung besser funktionieren, wenn die Gesprächspartner wissen, dass man notfalls auch anders könnte. Und umso sympathischer, wenn man zu diesen Mitteln dann trotzdem nicht greift.
Hinzu kommt die Problematik Naher Osten (eigentlich sogar vom Maghreb bis Zentralasien). Hier ist seit einiger Zeit zu erkennen, dass die USA bisher nicht geeignet waren, Konflikte zu lösen und dass sie das Interesse verloren haben. Was sie dabei hinterlassen haben und was der Klimawandel noch hinzufügen wird, ist beunruhigend. Und mit den Folgen zusammenbrechender oder gerade noch von Diktatoren zusammengehaltener Staaten, wird vor allem Europa leben müssen. Flüchtende, Terrorgruppen und eine Nachbarschaft, in der keine Zusammenarbeit und wirtschaftliche Entwicklung möglich ist, sind schon jetzt die Folge und werden es bleiben. Da es auch in Afrika keine handlungsfähige politische Allianz gibt, bleibt nur Europa, um das Problem anzugehen.
Wie an China schon beschrieben, gehe ich davon aus, dass sie bereits planen, ihren Einfluss auszudehnen (rein territorial wie auch in der Tiefe). Und wenn Europa in irgendeiner Form mitreden möchte, wo da rote Linien sind und vielleicht doch noch ein Gegenmodell abgeben möchte, in dem demokratische Werte und Menschenrechte noch zählen, dann muss es selbst ernst genommen werden. Und China wird einen zerstrittenen Haufen, für den sich auch die USA nur noch marginal interessieren, nicht ernst nehmen. Na gut, die Meinung der USA zählt auch nur bedingt, nämlich sofern sie sich nicht selbst demontieren – wie schnell das möglich wäre, hat die Zeit mit Trump eindrucksvoll gezeigt. Auch die chinesische Bevölkerung – wie gesagt intensiv vom pragmatischen Macht- und Stabilitätsgedanken beeinflusst – wird das demokratische Modell als gescheitert einstufen, wenn es nicht mehr vorzuweisen hat, als schöne Worte, die im Geplänkel untereinander untergehen. Früher war das noch der Wohlstand, aber den verspricht inzwischen auch die KP durch Taten statt Worte. Mit weiterem Streit ohne klare Linie würde Europa den Beweis antreten, den die KP-Führung die ganze Zeit zu führen versucht: dass Demokratien verlogen und schwach sind und es sich nicht lohnt, diesem Modell anzuhängen – selbst wenn die persönlichen Freiheiten irgendwie nett sind. Der erwähnte Pragmatismus würde einfach beweisen (und seinen eigenen Beitrag dabei geflissentlich übersehen), dass sowas auf Dauer nicht klappt.

Die NATO.
Zur NATO stehe ich kritisch. Das ist schade, könnte sie doch genau das Gegengewicht sein, das demokratische Staaten, denen Menschenrechte – oder weil es so abgegriffen und häufig missbraucht ist, sagen wir vielleicht mal Bürgerrechte – etwas bedeuten, nutzen könnten, um nicht unter die Räder zu kommen. Mein Anspruch basiert aber auf ethischen Grundsätzen und der Glaubwürdigkeit nach außen und das hat die NATO nachhaltig zerstört. Meine Kritik: die NATO war geschaffen als Fraktion gegen den Warschauer Pakt, sie war der militärische Arm des Westblocks gegen den Ostblock. Und in dieser Funktion hat sie einiges mitgetragen, das absolut nicht mit meinen Werten konformgeht. Da wäre der Vietnamkrieg zu nennen (schon dessen offizieller Auslöser war inszeniert), die Stationierung von Nuklearraketen gegen die Absprachen mit dem Warschauer Pakt (der Auslöser der Kubakrise waren entgegen gepflegter Mythen nämlich die USA bzw. NATO und nicht Kuba, SU bzw. Warschauer Pakt) und das Versprechen bei Auflösung der SU, sich nicht nach Osten auszubreiten – was eiskalt gebrochen wurde (und vermutlich schon so einkalkuliert war, als das Versprechen gemacht wurde). Und auch danach ging es so weiter. Das ist das Schlimmste, denn nach Ende des Ost-West-Konflikts wäre es möglich und geboten gewesen, zu sagen „Schwamm drüber, lass uns neu anfangen, angepasst an eine Welt, in der jeder ein potentieller Verbündeter ist“. Es wäre möglich gewesen, die NATO in einen (selbst-)Verteidigungspakt freiwilliger Mitglieder umzuwandeln – eng gebunden an Völkerrecht und Absprachen mit den UN. Stattdessen haben die Westmächte – allen voran die USA – weiterhin Staaten ausgegrenzt und ihre Interessen vertreten – sogar gegen die Interessen einzelner NATO-Mitglieder. Und wenn sich mal wieder Diskussionen über den Zustand der NATO abzeichnen, wird mantra-artig wiederholt, dass das Bündnis zusammenhalten müsse, dass seine jetzige Form so bleiben soll, dass es nichts aufzuarbeiten gäbe und dass es quasi „natürliche Feinde“ der NATO gäbe. Einsätze, die die USA nicht wollen, weil sie ihnen nichts einbringen, werden abgelehnt (selbst wenn sie beispielsweise zur Stabilität an Europas Grenzen beitragen sollen) und Einsätze, die umstritten, evtl. völkerrechtswidrig und eher eskalierend als befriedend sind, werden durchgezogen, wenn sie im Interesse der USA sind. Dazu kommt, dass ein Dogma aufgestellt wurde (vor allem im deutschen Wahlkampf zu beobachten, dass nahezu alle Parteien ein – noch dazu völlig bedingungsloses – Bekenntnis zur NATO verlangen bzw. vor sich hertragen), dass die NATO ein unauflösbarer Teil westlich-demokratischer Staaten sei. Solche Dogmen aus einer anderen Zeit auf alle Situationen der Gegenwart und absehbaren Zukunft zu übertragen, finde ich inakzeptabel. Vor diesem Hintergrund die Verpflichtung zur erhöhten finanziellen Unterstützung durchdrücken zu wollen, unterstreicht, wie wenig kooperativ dieses „Bündnis“ inzwischen ist. Von den Fliehkräften in den Interessen der einzelnen Mitgliedsländer ganz zu schweigen. Oder gar den faulen Kompromissen, die gemacht werden, um Bündnispartner zu halten (siehe Türkei). Und dann ist da noch der Punkt, dass die NATO als Akteur (oder in der Systemtheorie gesprochen als eigenes System) ein Interesse daran hat, sich selbst am Leben zu halten – so tritt die NATO manchmal als politisches Sprachrohr ihrer Mitglieder auf und klingt dabei eher nach militärischem Säbelrasseln als nach politischer Handlungsfähigkeit. Die politischen Mittel der Konfliktlösung, welche immer vorzuziehen sind, können durch solche Drohkulisse und Inflexibilität aber leicht an den Rand gedrängt werden. Meistens wenn „die NATO“ für ihre Mitglieder spricht, überschreitet sie ihre Kompetenzen. Ich bin also nicht in jedem Fall gegen „so etwas wie“ die NATO aber ich bin ein entschiedener Kritiker dieser NATO.

Russland, die USA und der Rest.
Diese habe ich alle am Rande schon erwähnt und halte es für unnötig, hier große eigene Kapitel zu verfassen. Mein Gefühl aber ist, dass sie alle sich in den Jahren seit der Jahrtausendwende eher von natürlichen Verbündeten Europas wegentwickelt haben anstatt näher heranzurücken. Eine Sonderrolle, die das noch unterstreicht, nimmt Großbritannien ein. Und wenn es stimmt, was über die Finanzierung und den Anschub der Brexit-Kampagne aus Russland gesagt wird (ich halte es für plausibel), dann ist das gleich das nächste Ausrufezeichen.

Auflösung der Widersprüche.
Geht man nun von einem ethikbasierten Ansatz aus, um zu bestimmen, wohin die Reise gehen soll, dann ergeben sich natürlich viele Schwierigkeiten. Ich meine das so: ich möchte keine eigene Version des „America first“ für Deutschland oder Europa, ich möchte kein unhinterfragtes „der Westen gehört zusammen und wir sind immer die Guten“ (waren „wir“ historisch nicht, im Gegenteil) und ich möchte keinen chinesischen Pragmatismus a la „in einer feindlichen Welt ist alles erlaubt, was funktioniert – gemessen in Stabilität der eigenen Macht“. Auf der anderen Seite glaube ich aber auch nicht daran, dass bei der jetzigen Dynamik (verschiedene Mächte schnuppern Morgenluft, wollen sich einen besseren Platz in der Weltordnung sichern bzw. kämpfen, ihre alte Stellung nicht zu verlieren) pazifistische Zurückhaltung funktionieren wird. Einfach immer wieder sagen, dass man für Demokratie und Menschenrechte steht, dass man sich in Konflikte nicht hineinziehen lassen will und dass die anderen gefälligst das Völkerrecht achten sollen, wird nicht ausreichen, um diese Ziele zu erreichen – ja nicht einmal um deren Status Quo zu halten. Demokratie und Völkerrecht würden zerrieben und nicht nur in ihrem unfertigen Zustand verharren, sondern sogar weitgehend verdrängt. Dass dann immer wieder in den eigenen Reihen „Realisten“ aufstehen, die bereit sind für andere Prioritäten diese Werte zu opfern, macht es nicht besser. Im Gegenteil, das ist genau das Scheunentor, das Troll-Armeen zur weiteren Spaltung nutzen und was das herablassende „wir haben euch doch gesagt, es funktioniert nicht“ aus China bestärkt. Es sieht – leicht zugespitzt – so aus, als entwickle sich alles dahin, dass die europäischen Staaten sich entscheiden müssen, ob sie sang- und klanglos untergehen oder alle ihre Werte über Bord schmeißen und frei nach Macchiavelli zu erfolgreichen Verbrechern werden wollen.
Ich wünsche mir weder das eine, noch das andere, aber ich sehe es in vielem, was so diskutiert wird, durchschimmern – auch wenn die Vortragenden das naturgemäß nicht zugeben oder einsehen wollen, dass es darauf hinausliefe. Aber was wäre nun ein möglicher Ausweg? Ich stelle mir das in etwa so vor: Europa macht sich klar, dass die Entwicklung unerbittlich voranschreitet und nicht danach fragt, ob man mit den entstehenden Dilemmata einverstanden ist. Diese Drohkulisse vermag vielleicht doch noch zu Kompromissen und größeren Anstrengungen verhelfen. Und dann rauft man sich zusammen und gründet ein Forum für gemeinsame Außenpolitik. Dieses darf sich gern verfestigen und von einem regelmäßigen Treffen zu einer eigenständigen Instanz der EU werden.
Um die gemeinsame Außenpolitik zu vervollständigen, wird ein EU-Verteidigungspakt geschlossen, indem geregelt ist, welche Kommandostrukturen im Einsatzfall gelten, welche Aufgaben die nationalen Armeen übernehmen (können), welche Waffentechnik (aber auch Cyberabwehr usw.) in die eigene Strategie passt und evtl. noch geschaffen werden muss. Es wird also keine EU-eigene Armee in dem Sinne geben, sondern weiterhin die nationalen, diese haben aber ein gemeinsames Oberkommando, das sie im Einsatzfall rufen und koordinieren kann. Im Prinzip die bessere Version der NATO, die auch wirklich europäische Interessen vertreten kann.
Intern muss dann eine klare Linie gefahren werden: gemeinsame Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte sind unverhandelbar, wer nicht mitmachen will, soll nicht mitmachen. Hier ein kleiner Exkurs zu Polen und Ungarn: Beide Staaten haben bewiesen, wie dreist man mit der EU umspringen kann. Orban hat ein System aus Günstlingswirtschaft aufgebaut, das sich an EU-Subventionen bereichert und gleichzeitig mit faschistisch-populistischen Mitteln europäische Ziele und Werte demontiert. Und Polen, als größter Netto-Empfänger von EU-Subventionen, geht ebenfalls in diese Richtung (begründet auf einem erzkonservativen Katholizismus). Es ist offensichtlich, dass beide Regierungsgruppierungen gegen die EU hetzen, aber ihr Erfolg vollständig von Geld aus der EU abhängt. Wie sich der Stärkere (und moralisch überlegene) so vom Schwächeren (und moralisch absolut unwürdigen) erpressen lassen kann, ist mir vollkommen unklar. Was habe ich verpasst, was dieses skurrile Schauspiel rechtfertigt? Einige sagen ja, wenn man jetzt Konflikte mit Polen und Ungarn austrägt, riskiert man den Zusammenhalt der EU. Allerdings sind die Konflikte nicht zu übersehen, auch wenn man sie nicht austrägt und den Zusammenhalt gefährden sie ebenfalls schon jetzt – weil sich einige schrecklich ärgern, so von denen an der Nase herumgeführt zu werden und andere sich vielleicht ein Vorbild daran nehmen, mit wieviel man durchkommt.
Wenn ich „die EU“ schreibe, meine ich natürlich nicht alle Mitgliedsstaaten gleichermaßen, zentrale Kraft müssen – aus historischen, wirtschaftlichen und Mehrheitsgründen – Deutschland und Frankreich sein. Wünschen kann ich diese EU von der ich spreche natürlich allen, die freiwillig dazu gehören wollen, aber die Arbeit in diese Richtung kann ich zuerst von diesen beiden erwarten. In letzter Zeit kam es immer mal wieder zu Misstönen bei europäischen Projekten, weil sie innenpolitisch schlecht zu verkaufen sind oder eben einzelne Kämpfe um Verantwortung, Kosten und Prioritäten für innenpolitische Interessen verwendet wurden. Dieses Problem ist aber nicht gänzlich unauflösbar, denn es ist (wie ich hoffentlich hinreichend deutlich dargestellt habe) absolut im Interesse der nationalen Bevölkerungen und Unternehmen, dass es eine starke EU auf globaler Bühne gibt. Folglich wäre es Aufgabe der Politiker*innen, diese Ziele mehr hervorzuheben, anstatt trügerische Angebote zu machen, in denen man möglichst viel für „sich selber“ herausschlägt oder „von den anderen“ schultern lässt. Politiker*innen sollten nicht versuchen damit zu punkten, dass sie besonders gut für ihr Land verhandelt hätten – denn die EU abzocken, heißt letztlich, sich selber zu bestehlen. Wenn es oft genug kommuniziert würde, dass Europa diesbezüglich an einem Scheideweg steht, würden vielleicht auch einige Wähler*innen und Lobbygruppen sich für den mittelfristig lohnenden – statt den kurzfristigen – Vorteil entscheiden.
Gedankenspiel: kehren wir das „Teile und herrsche“-Prinzip mal um. Wäre es nicht nützlich, wenn sich die einzelnen Länder der EU angleichen würden, wenn wir so handelten, als säßen wir wirklich in einem Boot? Ich denke, das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung: wenn wir uns trotz Union so verhalten, als könnten wir uns gegeneinander ausspielen, dann sitzen wir eben nicht in einem Boot. Dann lässt ein EU-Staat (Deutschland) eben seine eigenen Banken daran profitieren, dass ein anderer pleitegeht. Oder ein anderer nimmt eben keine Geflüchteten auf, das können mal schön die anderen schultern. Oder einer hält sich eben nicht an Absprachen zu Klimaschutz (Polen) oder Geldwäsche- und Korruptionsbekämpfung (Deutschland) usw. usf. Wenn wir uns aber stattdessen so verhalten würden, als wollten wir wirklich EINE Europäische Union sein, dann sind wir es auch. Und ich glaube angesichts des geopolitischen Umfelds und dem, was wir für die nähere Zukunft erwarten können, werden wir Einheit brauchen. In der Not steht man zusammen. Und geopolitisch halte ich die EU tatsächlich für ein Schiff, das in einen heftigen Sturm fährt.

9/11 und der „war on terror“

Ich möchte jetzt mal was klarstellen: eure Darstellung kotzt mich an. Wer und was ist gemeint? Es geht um die Verzerrung des kollektiven Gedächtnisses, die – vielleicht sogar aus Arroganz und Unachtsamkeit, statt aus Kalkül – gerade wieder auf Hochtouren läuft. Dem Publikum westlicher Medien wird erzählt, wie “wir” uns alle gefühlt haben und was “wir” alle gedacht haben.

Vor wenigen Wochen: Der Abzug aus Afghanistan hinterlässt einen Scherbenhaufen auf vielen Ebenen und die Analysten brabbeln in immer neuen Variationen den selben Quatsch. Außer an einigen Stellen, wo ich kritische Stimmen gefunden habe, die von der Verlogenheit und Planlosigkeit gleich beim Einmarsch in Afghanistan erzählten. Erstaunlicherweise gelingt es Zeitungen und teilweise sogar Autoren im selben Artikel, wo diese Stimmen zitiert werden, völlig widersprüchliche Aussagen zu vertreten. Also einerseits, geben sie zu, dass es vielleicht weniger um einen Wandel in Afghanistan als viel mehr um Rache ging. Aber dann erzählen sie, wie der Westen sich verzettelt habe, wie seine Mission gescheitert sei, diagnostizieren im Nachhinein die genannte Verlogenheit und Planlosigkeit. So als habe sich das aus Sachzwängen und mangelndem Interesse im Lauf der Jahre ergeben. Aber wie kann ich an der Demokratisierung scheitern, wenn ich das – als planvoll anvisiertes Ziel – nie versucht habe? Ich bin ja auch nicht an der Besteigung des Mount Everest gescheitert, wenn ich noch nichtmal eine Reise ins Himalaya vorbereitet habe. Wie kann ich hinterher sagen “man sei wohl zu blauäugig und planlos” gewesen, wenn einige Kritiker (auch diese zitierten) von Anfang an gesagt haben, dass es nie um Afghanistan, das Verhältnis zum Islam, der politischen Ordnung im Nahen Osten oder sonstwas ging? Es ist einfach eine Falschdarstellung, dass dem Westen da Fehler unterlaufen seien. Auch wenn das als entwaffnende Offenheit daherkommt. Es ging den USA ursprünglich darum, Stärke zu demonstrieren, es ging darum zu zeigen, dass niemand sie ungestraft angreifen darf und dass die USA die Macht haben, sich internationale Unterstützung für eine Militäroperation am anderen Ende der Welt zu holen und dort ihre technische Überlegenheit zu demonstrieren. Mit dem perfiden Unterton Richtung Islamisten: “und alle Zivilisten, die hier sterben, gehen auf euer Konto – sowas kommt von sowas.” Später dazu mehr.

Und da nun der 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September ist, wird noch einmal erzählt, wie das alles war und was daraus folgte. Nur leider finde ich mich da nicht wieder. Und das ist nicht wegen mir persönlich schade, sondern weil es eine Scharnier-Funktion hat, für das ganze schiefe Verhältnis, das “der Westen” zur Welt hat. Denn ich habe mich nicht angegriffen gefühlt, wie so schön mantra-artig wiederholt wird: “als die Flugzeuge in die Türme krachten, wird der westlichen Welt ihre Verletzlichkeit bewusst. Der ganze Westen fühlt sich angegriffen.” So oder ähnlich wird es überall nacherzählt. Das ist eine Verzerrung und vielleicht sogar eine bewusste Lüge. Und es tut mir leid für alle jungen Menschen, die das nicht selbst erlebt haben (oder nur als Kleinkinder) und die sich jetzt ein Bild machen wollen über die Ereignisse.

Damals hatte ich das Gefühl, dass in meinen Kreisen viele Menschen (einschließlich mein Geschichtslehrer in der Oberstufe) entsetzt darauf geschaut haben, wie simpel der Hass sich aufschaukeln und jede Vernunft ersticken kann. Wie wenig “der Westen” das ist, was wir uns als Entwicklung nach Ende des kalten Krieges erhofft hatten. Zur Erinnerung: ich bin in der DDR geboren, aber in der BRD zur Schule gegangen. Gerade haben verschiedenste Beobachter – linke Intellektuelle genau wie einfache, eher unpolitische Bürger – noch die Hände vors Gesicht geschlagen, als George W. Bush denkbar knapp zum US-Präsidenten gewählt wird. Michael Moores “stupid white men” facht die Debatte über ein dysfunktionales Amerika auch in Europa an – naja, nicht als Ursache, aber als besonders deutliches Symptom der Debatte kann man das Buch gelten lassen. Es gab jede Menge “Memes”, die George W. Bush verunglimpften. Wohlgemerkt vor 9/11. Es wurde auch über Anti-Amerikanismus diskutiert, weil es natürlich die ganzen Ossis gab, die mit Sowjet-Propaganda aufgewachsen waren und Wessis, die das Gefühl der 68er verinnerlicht hatten. Dabei ist natürlich zu hinterfragen, ob das nach dem Faschismus nicht eine denkbar einfache Umdeutung ist, ein Land, die dominierende Kultur, alles was daran hängt, in Bausch und Bogen zu verteufeln – genau das selbe Feindbild eben, wie auch die Nazis pflegten. Auch wenn ein diskriminierendes Bauchgefühl kritisch zu hinterfragen ist, die Argumente, die damals wie heute auf den Tisch kommen, wenn “Amerika” kritisiert wird, wiegen schwer.

Dazu der Widerspruch des bunten Heile-Welt-Zukunfts-Gefühls der 90er mit den realen Problemen des Aufbau Ost, den Kriegen in Irak und Jugoslawien. Irgendwie gab es ja das Gefühl “jetzt wo der kalte Krieg vorbei ist, wird endlich alles gut” und “jetzt, wo die Welt geeint ist, können wir den Hunger in Afrika und die Umweltverschmutzung bekämpfen”. Und gleichzeitig war zu erkennen, dass es irgendwie doch nicht so einfach werden würde.

In dieser Gemengelage war die Kritik an den USA als Führungsmacht absolut naheliegend. Wer wenn nicht die müsste voran gehen? – Niemand, natürlich! Wir als Weltgemeinschaft, vielleicht als eine UNO mit ganz neuem Selbstbewusstsein, müssen das in die Hand nehmen. Die USA sind der falsche Anführer, so wie überhaupt das Konzept eines Anführers kritikwürdig ist. Zivilgesellschaft von unten ist wichtig. Das waren in meiner Blase damals völlig normale Positionen. Und dazu stehe ich nach wie vor.

Und jetzt zurück zu den direkten Reaktionen auf die Anschläge: mein erster Impuls als politisch interessierter Abiturient war “Ohje, ausgerechnet jetzt, wo dieser großkotzige Depp Präsident geworden ist, greifen Terroristen die USA spektakulär an, wenn der jetzt das tut, was alle ihm zutrauen, haben die Terroristen geschafft was sie wollten: sie haben Krieg. Alles wird sich radikalisieren und für Stimmen der Vernunft, für ein Streben nach gemeinsamer Zukunft (siehe Hoffnungen der 90er) ist – schon wieder! – kein Raum mehr. Der wird doch hoffentlich Berater haben, die ihn aufhalten?”

Insofern war mir klar, dass es ein perfider Plan von Al-Kaida wäre, die USA genau so zu provozieren, dass sie wie ein hirnloser, wütender Riese um sich schlagen. Und ich hatte gehofft, dass es im Rest der westlichen Welt genügend anderen (wichtigeren) Leuten auch klar ist, so dass sich diese fatale Reaktion abwenden ließe. Leider nein. Mit Kopfschütteln habe ich kurz darauf zur Kenntnis genommen, dass Luftangriffe auf Afghanistan folgten und dann der ganze Rest. Wie sollte man auch mit B52-Bombern gezielt Terroristen treffen? Und weil das wohl auch der US-Regierung auffiel, dass sie nicht einfach nach ein paar Flächenbombardements und Cruise Missiles, die irgendwelche Höhlen in den Bergen pulverisieren, wieder abziehen können, mussten sie einmarschieren, mit Bodentruppen ins Land. Und wenn sie einmarschieren, müssen sie sichere Zonen schaffen, wo sie ein Lager errichten können. Und dafür müssen sie der Bevölkerung vor Ort irgendwas versprechen. Und dann muss in den Ländern der Verbündeten (Deutschland war nach der Wiedervereinigung dummerweise gerade soweit, nicht nein sagen zu können, als ihre Bündnistreue verlangt wurde – wobei man darüber streiten kann/sollte!) verkauft werden, was das eigentlich alles ist – denn “ihr hattet Recht, der Riese schlägt hirnlos wütend um sich” konnte man ja schlecht sagen… Und so kommen wir zu der Geschichte des Afghanistan-Einsatzes, wie er wirklich war. Im Laufe der Zeit ergab sich da noch mehr, aber das war – aus meiner Perspektive nacherzählt – der verhängnisvolle Ablauf, bei dem ich mich eigentlich permanent fremdgeschämt hab. Und entsprechend vehement erklärt habe, wie doof ich das finde und zu welchen Untaten die USA immer wieder fähig sind. Denn dieser Westen wollte ich nicht sein.

Und dann kam der nächste Irak-Krieg 2003. Und da hat – zum Glück – sogar der deutsche Außenminister sich mal getraut, auf offener Weltbühne zu widersprechen. Joschka Fischer sagte zur Beweisführung der USA, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen bunkern würde “I’m not convinced.” – Für’s diplomatische Parkett eine ordentliche Klatsche! Und dann bin auch ich mit Plakat in Leipzig demonstrieren gegangen. Gerade hatte ich eine Art Manifest geschrieben, nämlich meine Gewissensbegründung zur Wehrdienstverweigerung. Und nun ging ich Zivi mit langen Haaren auf eine Demo gegen die Kriege der USA. Ein Hauch 68er. Damals war der Konsens der versammelten Menschen dort: dass “Bomben gegen Terror” ein Widerspruch in sich sind, muss ja wohl jeder zugeben, der darauf angesprochen wird – das kann man nur unterstützen, wenn man entweder strunzdumm ist oder gar nicht an Beendigung von Terror interessiert. Da sind wir wieder bei der Aussage “sowas kommt von sowas” – das lässt sich jederzeit rumdrehen. Also dass sich Streit mit “aber der hat angefangen” nicht beenden lässt, hat hoffentlich jeder im Lauf des Erwachsenwerdens gelernt.

Und so bekamen dann doch nochmal Verschwörungstheorien Aufwind. Zu 2001 schrieb ich ja, dass es mir absolut plausibel war, dass Terroristen diesen Zeitpunkt wählen, um die USA anzugreifen und die Lage eskalieren zu lassen. Insofern glaubte ich auch nicht an Verschwörungserzählungen und Geraune, dass die Türme gesprengt wurden, das Wrack im Pentagon kein Flugzeug wäre usw. Aber als mal wieder der Hang zur Lüge als Kriegsbegründung, die Verachtung abweichender Meinungen, die geölte Kriegsmaschine der USA – die ganze Dummheit, die fast schon Absicht sein musste in so hohen Regierungskreisen – zu Tage traten, schienen Zweifel berechtigt, ob nicht auch das Fingieren eines Anschlags – mit realen Opfern! – ihnen zuzutrauen wäre. Ich hatte Zweifel und ich denke, es gab tatsächlich Versagen, Nachlässigkeit aus Arroganz, Vertuschung von Fehlern usw. – Aber an ein komplettes Skript glaube ich nicht. Damals wie heute.

Dennoch möchte ich festhalten, dass mir die Art und Weise wie über 9/11 und die Folgen berichtet wird, überhaupt nicht passen. Die Kriege, die die USA im Namen des “containment” geführt haben (jenem Gerede, dass Kommunismus in einem Land zu einem Domino-Effekt in den Nachbarländern führen könne und daher präventives Eindämmen geboten wäre – sogar indem man demokratisch gewählte Sozialisten durch faschistische Autokraten ersetzt, wie in Chile – wie kann man so blöd sein zu übersehen, dass einem das nicht mehr als “Kampf für die Demokratie” abgenommen werden würde?!?) – diese Kriege waren zur Zeit des Ost-West-Konflikts falsch und die, die in ähnlicher Manier nach dem Ende des kommunistischen Blocks geführt wurden, waren es auch. Und weil diese Debatten das Handeln der USA auf der Weltbühne immer in Echtzeit begleitet haben, ist es eine Frechheit gegenüber allen Menschen, die dieses Handeln besonnen und in offener Argumentation kritisieren, jetzt einen enttäuscht-zerknirschten Rückblick zur Schau zu stellen. Wir müssen uns eben nicht verwundert die Augen reiben, wie der gutmütige Westen nur so scheitern konnte gegen all seine verworrenen Widersacher. Schon von Anfang an hat ein bemerkenswerter Teil des Westens den anderen Teil gewarnt, dass sie gerade dabei sind, solche Widersacher selbst auszubrüten.

Bei dem Titel müsste ich jetzt noch über die Einschränkungen der Grundrechte „zur Terrorbekämpfung“, über Guantanamo, Abu Ghraib, Chelsea Manning usw. schreiben, überspringe das aber mal mit dieser kurzen Andeutung. Es ist zumindest viel passiert, was weltweit, aber vor Allem im Westen, Kontroversen ausgelöst hat. Und so wie damals 9/11 nicht im luftleeren Raum geschehen ist und sich als Kurzgeschichte auf leere Seiten schreiben lässt, so findet auch diese Auseinandersetzung nicht ohne Kontext statt. Aktuell sehe ich Themen wie die aufstrebende neue Rechte und die aufziehende Klimakatastrophe und mir schläft das Gesicht ein und ich muss schlucken: ist es das gleiche Muster? Hier gibt es seit Jahren Menschen, die besonnen und in offener Argumentation – in Echtzeit – Vorschläge machen und Fehler kritisieren. Ein Teil des Westens warnt den anderen Teil vor Dummheit, Arroganz und übertriebender Abgebrühtheit. Werden wir auch da, wenn es endgültig verkackt ist – in der Rückschau – zu hören bekommen, wie “wir” als Westen da reingeschlittert sind, mit den besten Absichten, aber vielleicht irgendwie blauäugig – echt jetzt?!?

Dieses Gefühl des ewigen “face palm” werde ich wohl nicht los. Ganz unzweifelhaft als Teil des Westens. Aber als der, der sich fremdschämt.

große Fragen und Motivationsloch

Es ist Ende Februar 2021. Kürzlich habe ich bemerkt, dass ich ganz schön zynisch geworden bin, wenn es um Zukunftsperspektiven und praktische Fragen meines sozialen Engagements geht. Was ist zwischen 2018 – wo ich noch recht kämpferisch und idealistisch war – und 2021 passiert? Bin ich einfach nur älter geworden, sickert das “Mitte-30-Gefühl” langsam durch? Nein! Dazwischen war noch was: da war die Eskalation des Trumpismus, QAnon, Querdenken… Da war zu beobachten, wie China mit allem, was machiavellistisch-unmoralisch ist, nicht nur davonkommt, sondern Erfolge feiert und für “Pragmatiker” gar eine Vorbildwirkung haben könnte. Genau: ich schreibe bewusst von den Reaktionen der Menschheit auf das neue Corona-Virus und nicht von der Pandemie als Krise selbst. Dass Probleme auftreten, ist nicht weiter schockierend, damit muss man rechnen, das ist halb so wild. Schlimm wird es, wenn sich dann überall die Fratze menschlicher Niedertracht und des Selbstbetrugs zeigt. Schlimm wird, wenn wir uns nicht nur schwer tun, besagte Probleme zu lösen, sondern auf Jahrzehnte hinaus neue Wunden aufreißen, die alle errungenen Erfolge der Zivilisation in Frage stellen – kurz wenn sich das Wesen des Menschen als größeres Problem herausstellt, als die Probleme, mit denen die Menschen “von außen” konfrontiert sind.

In so einer Situation geht es ans Eingemachte. Da steht die Frage nach dem Sinn im Raum. Lohnt sich das Hoffen? Wenn ja für wen und worauf? Dann hilft ein Blick in die Geschichte, um ein bisschen aus der eigenen Blase “heraus zu zoomen”. Ich muss zugeben, das führt mich direkt zum Zynismus zurück. Aber auch einer gewissen Abgeklärtheit. Mich kann es beruhigen, aber ob es richtig ist, ob die Frage nach gut oder schlecht hier überhaupt noch Raum hat, beginnt sich aufzulösen im Zoom, der immer weiter in den Kosmos hinausfliegt – was kümmert den Planet Erde der Mensch? Das Devon und das Ordovizium haben geendet, es gab das Perm-Massenaussterben und das ikonische Ende der Dinosaurier… Das Antropozän wird auch enden. Und dann dieses lächerliche Sonnensystem irgendwo in einem Arm der Milchstraße. Und die Milchstraße irgendwo in einem Kosmos voller unterschiedlicher Galaxien und nichtmal was dieser Kosmos ist, ob er Paralleluniversen hat, ob er selbst als Ganzes ein endloser Kreislauf aus Wiedergeburten ist – wir wissen nichts! Sich jetzt selbst so ernst zu nehmen, dass die Probleme der Menschen, die 2021 (nach einer an sich schon ziemlich lächerlichen und selbstbezogenen Zeitrechnung!) leben, irgendeine Rolle spielen würden – wäre das nicht lächerlich? Würde es sich nicht einreihen in diese ständige Arroganz, dass genau der kleine Ausschnitt, den man selbst sehen kann, der wichtigste der Welt sei? Also sowas wie “first world problems” oder die Arroganz der “westlichen Demokratien”?

Und nochmal zurück zur mittleren Auflösung irgendwo zischen der Frage wann die Baumärkte wieder öffnen und den Grenzen des Universums: also der angesprochenen Geschichte. Was wissen wir denn über die großartigen Reiche? Sie haben versucht Legitimität herzustellen. Es haben sich soziale Ordnungen und Moral entwickelt. Schon im Gilgamesch-Epos stellt sich die Frage nach Sinn und Gerechtigkeit. Wir können davon ausgehen, dass dies die erste noch erhaltene Überlieferung, aber nicht das erste Mal ist, dass Menschen ganze Epen und Glaubenssysteme rund um diese Fragen gebastelt haben. Aber dennoch bestehen die Probleme weiter: Machtmissbrauch, Ressourcenverschwendung, Gesetzesbrüche aller Art und am Ende geht das Reich unter. Immer wieder. Sie alle haben sich mit den Problemen ihrer Zeit auseinandergesetzt, sie hielten es für wichtig, ob sie Steuern und Zölle an Troja zahlen müssen, ob sie zu Marduk oder Ischtar beten sollen, ob der Kaiser die Ordnung des Himmels verkörpert, ob sie genug geopfert haben, damit die Sonne wieder aufgeht, ob sie mutig genug sind nach Valhal zu kommen… Und dann ging das Reich unter. Also was soll der Quatsch? Soll ich mir Sorgen um die neofaschistische Internationale machen? Haben die Menschen Recht, die von mir verlangen, mich kritischer mit meinen Privilegien auseinanderzusetzen? Soll ich für Elektromobilität kämpfen – oder lieber gleich das Ende motorisierten Individualverkehrs? Muss ich mir Sorgen machen, was für Menschen aus den Schüler*innen werden, die prägende Jahre ihrer Jugend im Lockdown verbringen? Keine Ahnung.

Bei all der Ratlosigkeit bleibt, dass ich nicht daran glauben kann, dass wir jetzt besser wissen, als alle Vorgänger-Generationen, wo wir stehen und wo wir hin müssen. Wäre ja auch ziemlich vermessen. Das fängt ja schon beim “wir” an – das spaltet sich gerade gehörig auf und so sehr ich Spaltung und Gräben vermeiden möchte, mit einigen, die sich da gerade offenbaren, möchte ich mich auch nicht gemein machen. Zack! Schon wieder ein unlösbarer Widerspruch. Also wird es wohl kommen wie immer mit der Menschheit: es geht irgendwie weiter (wenn wir nicht zu weit heraus zoomen). Es wird Gruppen geben, die unterschiedliches anstreben. Es wird Rückschläge geben für Gruppen und Ideale. Und es wird nichts besser, unterm Strich.

Die entscheidende Frage könnte sein: ist der endlose und aussichtslose Kampf “der Guten” (gibt es natürlich per se nicht, aber gewisse Ideale und moralische Ansprüche haben sich ja über die Zeit bewährt) notwendig? Müssen die Hobbits permanent den Saurons und Sarumans die Stirn bieten, nur damit es keinen endgültigen Absturz gibt? Oder ist es eine individuell-philosophische Frage, ob wir besser leben, wenn wir an irgendwas glauben? Geht es bei der Entscheidung, sich um die Welt in der wir leben zu sorgen, nicht um die Welt, sondern unser eigenes Wohlergehen? Ist das einfach eine Beziehung, die mensch pflegen sollte, um sich nicht zu entfremden? Zumindest bin ich aktuell nicht in der Lage, eine Perspektive einzunehmen, die mich zu konkreten Schritten aus meiner Komfortzone heraus motiviert. Und das wiederum fühlt sich auch nicht schlecht an. Ist nur nicht sonderlich im Geiste des Silberstreif-Untertitels.

Das Grundeinkommen als Krisenhilfe

Es sieht gerade nicht gut aus für die EU, erst die fehlenden Einigungen über Flüchtlinge, dann die ganzen Neu-Rechten (bis hin zu Fällen wie Orbans“neuem Ungarn“) und jetzt kaum Handlungswille oder Handlungsfähigkeit bei Corona. Das Ganze vor dem Hintergrund künftiger Herausforderungen wie Klimawandel und Wechsel der Weltmächte. Es wird dringend Zeit, neue Wege zu beschreiten – mehr Solidarität, mehr Bürgernähe, Mut für neue Richtungen!

Vom Allgemeinen zum Konkreten: die wirtschaftlichen Folgen des Corona-Shutdowns, müssen abgefangen werden. Die Schwachen allein (sowohl EU-Staaten, als auch Menschen) werden es nicht schaffen. Die EU muss handeln, um nicht in eine faktische Selbstauflösung zu schlittern. Rettungsschirme und Euro-Bonds sind im Gespräch, aber da gibt es keine klaren Favoriten und viele Unwägbarkeiten. Ein Grundeinkommen hingegen hat viele Vorteile: Es ist ein relativ leicht verständliches Werkzeug. Es setzt direkt bei den Menschen an ohne nach Macht zu fragen. Es würde sofort Wirkung zeigen – sowohl bei Popularität als auch als ökonomische Erst-Hilfe.

Bitte unterstützt die Idee: https://you.wemove.eu/campaigns/notfall-grundeinkommen

Und weil die EU leider alles andere als ein sicherer Partner dafür ist, macht es trotzdem Sinn, auch in Deutschland anzusetzen. Hier braucht es auch den Umweg über Initiativen wie WeMove nicht, hier gibt es direkt eine Petition über die Plattform des Bundestags: https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2020/_03/_14/Petition_108191.nc.html

Vielen Dank für Eure Unterstützung 🙂

Ein kleiner Nachtrag dazu: Wieso könnte es gerade jetzt gelingen das Grundeinkommen durchzusetzen, wieso ist das ein historisches Zeitfenster? Aus drei Gründen:
1. Wissen in der EU alle, dass sie jetzt große Summen in die Hand nehmen und schnell handeln müssen. Damit bietet sich das Grundeinkommen an, weil die Idee bereits viel diskutiert wurde in den letzten Jahren und mit einem geschärften Profil auch an Unterstützung gewonnen hat. Wenn schon Schnellschuss, dann lieber etwas, das man sich irgendwie vorstellen kann.
2. Damit greift aktuell das alte Lieblings-Argument, dass das alles nicht bezahlbar sei, kaum noch – denn alle Programme, über die jetzt nachgedacht werden muss, sind nach konservativer Haltung nicht finanzierbar. Es gelten plötzlich andere Gesetze für ökonomische Vernunft.
3. Brauchen wir uns um die (wie ich anderswo schon ausgeführt habe wohl unbegründete) Angst, dass sich mit Grundeinkommen alle nur noch auf die faule Haut legen würden, keine Gedanken zu machen. Aktuell sollen alle faul daheim bleiben – weniger arbeiten, weniger konsumieren.
Der Zeitraum für die Einführung eines Grundeinkommens (und sei es erstmal nur vorübergehend für die Notsituation) ist also so günstig wie noch nie! Dieser Schwung sollte genutzt werden.

Offener Brief

Eine Mail, die ich kürzlich geschrieben habe und für geeignet halte, hier für jede*n gezeigt zu werden.

Hallo Ihr Lieben :-)

Wie Ihr wisst, war ich gerade auf dem KlimaCamp im Leipziger Land. Dort
habe ich diesmal keine Aktionen mitgemacht und auch wenig konkretes aus
den Workshops mitgenommen. Deshalb möchte ich wenigstens die großen und
entscheidenden Veranstaltungen besuchen, die bald anstehen. Und noch ein paar nette Menschen dazu einladen - das seid Ihr und jede*r, die Ihr noch mitbringen möchtet [spread the word!] ;-)

Am Dienstag 13.08. ist in der Neustadt Verkehrswende-Demo (14:30uhr
Alaunplatz, dazwischen, 15:30uhr Albertplatz). Da latschen wir nicht nur rum, sondern nutzen die Straßen auch um: Liegestühle, Ballspiele,
Topfpflanzen - bringt alles mit und habt eine gute Zeit, die zeigt, wie
man solche Straßen besser nutzen kann, als für private Autos!

Am 24.08. ist große "unteilbar" Demo. Das ist wirklich wichtig! Es ist
die letzte große Demo vor der Landtagswahl, danach regiert die AfD und
wir werden verprügelt, wenn wir auf solche Demos gehen, also kommt ein
letztes Mal mit, damit Ihr später Euren Enkeln erzählen könnt, ihr
hättet es versucht. ;-) Nee, das war sarkastisch, sorry. Also ich hoffe, die Demo bewirkt was
- entweder Wahlausgang, weil alle, die nicht für die AfD sind, hin gehen und nen Block dagegen wählen
- oder dass wirklich keine Koalition mit der AfD gemacht wird, bzw. klar und demokratisch Stellung bezogen seitens "der Etablierten"
- oder dass alle wach werden, sich zu engagieren, die Pläne der AfD zu
vereiteln (keine Kürzung in Kultur und Jugendarbeit, kein Einsatz der
Polizei im Sinne von Rassist*innen etc.)
https://www.unteilbar.org/dresden/  <-- hier die Details

Später dann zum gleichen Thema (vermutlich 20.09. wo auch
internationaler Klimastreik angekündigt ist): engagierte Menschen
organisieren sich, um für den Fall, dass es doch Koalitionsverhandlungen mit der AfD in Sachsen, Brandenburg oder Thüringen geben sollte, koordiniert zu streiken. Das hängt natürlich noch ein bisschen von Wahlausgang, Nachrichtenlage direkt danach usw. ab - Aber es ist trotzdem wichtig, schonmal zu schauen, wer im Zweifelsfall den Hintern hoch bekommt und wer lieber mitschwimmt. Bitte sucht euch Menschen, die bereit wären, etwas zu tun! - Alles nochmal sehr schön erklärt, findet ihr hier: https://wirstreiken.org/aufruf/

Zuletzt möchte ich Euch noch auf "extinction rebellion", "fridays for
future" und "by 2020 we rise up" aufmerksam machen. Es findet ein
Austausch zwischen verschiedenen Aktivisti-Gruppen und Klimabewegungen
statt. Sie möchten koordiniert und gemeinsam Politik und Gesellschaft
bewegen. Demonstrieren gehen oder Bagger lahmlegen alleine reicht nicht!
Möglichst viele Menschen müssen möglichst deutlich (also auch mit
zivilem Ungehorsam und Verhaltensänderungen) zeigen, dass es so nicht
weiter geht. Haltet Euch auf dem Laufenden, was diese Gruppen so tun und an welcher Stelle Ihr vielleicht dabei sein könnt.
https://fridaysforfuture.de/allefuersklima/  
https://by2020weriseup.net/   Auf YouTube gibt es schöne Vorstellungen
der Gruppe "extinction rebellion" - also wer die sind und was die tun -
klickt euch da mal durch! (Habe ich noch nicht gesehen, aber scheint gut zu passen: https://www.youtube.com/watch?v=eopJw91cxL0)

Folgendes möchte ich abschließend sagen: es muss keine schreckliche
Belastung sein, zusätzlich zu allen Aufgaben, die ihr habt, noch diese
Verantwortung zu übernehmen! Es kann entweder schön sein, einfach mal
wieder unter Leute zu kommen oder eine Umstellung Eurer Prioritäten -
gebt lästige Aufgaben ab, nehmt Stress aus Beruf und sonstigem nicht
mehr so ernst - denn verglichen mit dem globalen Zusammenbruch unserer
Ökosysteme (oder der freiheitlichen Demokratie im Falle AfD & Co.) ist
das pille palle! Ihr habt die einmalige Chance, etwas wirklich wichtiges zu tun und nervigen Alltag abzustreifen, wie eine Schlange ihre alten Schuppen - macht was draus, das fühlt sich gut an :-)

---Liebe Grüße---Jonas---


Web-Links

Musik usw.:
Shaban und Käpt’n Peng (sind allgemein empfehlenswert) aber konkret zum Thema Wirtschaft, Gesellschaft und ARBEIT: Kündigung 2.0
Zum Thema Sicht auf sich selbst und die Welt: werbistich

Dokus und Interviews:
Robert Kennedy (eng.) zum GDP – Kritik daran alles mit dem Brutto-Inlands-Produkt zu messen, sehr treffend beschrieben, wieso Wirtschaftswachstum völlig an dem vorbei geht, was im Leben wichtig ist

Filme

Captain Fantastic.
Ein absolut großartiger Film, der die Zwänge zeigt, auf die mensch stößt, bei dem Versuch konsequent das Richtige zu tun. Viele Philosophien, Perspektiven und Begriffe enthalten. Ein vollständiges Hinterfragen der westlichen Zivilisation. Und nebenbei ein spannender, unterhaltsamer Film mit tollen Schauspieler*innen. Dieser Trailer ist mäßig, schaut den Film!

The American Dream: understanding money and the banking system.
(engl.) Ein historischer Abriss als Comic: wie funktioniert Geld heute und wie wurden Banken, was sie heute sind? Aus Sicht der USA, aber da dieses System dominiert, absolut aussagekräftig für uns alle. Mit einigen guten Zitaten und Daten. (das einzig unbekömmliche ist Sexismus im Video und die Verkürzung auf die Rothschilds, gab über die Zeit genügend andere, die sich dem Finanzsystem verschrieben haben, als antisemitisch würde ichs aber keinesfalls einstufen) –> Youtube vergleiche Klassiker Geld aus Schulden

Bücher

Welzer, Harald (2013): Selbst denken… eine Anleitung zum Widerstand. Fischer-Verlag, Frankfurt
Ein großartiges Buch, weil es Zusammenhänge herstellt, die sonst häufig fehlen: zwischen Denken und Handeln, Gesellschaft und Individuum, Geschichte und Zukunft… Und es hat mich inspiriert ebenfalls mehr Wert auf Lösungen und ein positives Umdenken zu legen. Probleme treffend und pointiert zu beschreiben ist wichtig, aber es braucht – psychologisch – auch Gegenentwürfe, damit wir handlungsfähig bleiben. Das erklärt das Buch und macht es gleich vor.

Stiglitz, Joseph E. (2015): The Great Divide. Unequal Societies and What We Can Do About Them. W.W. Norton & Co., New York
(Gibt es auch auf Deutsch, hab es aber englisch gelesen, weiß nicht, ob es dann an Lesbarkeit und Eleganz verliert.) Eine Sammlung von Beiträgen und Artikeln zum Thema, die Stiglitz bisher geschrieben hat, alles miteinander verbunden und kommentiert. Einiges wiederholt sich da. Aber es ist eine gute Bestätigung – auch in der Diskussion mit Experten – dass ein über fachliche Zweifel erhabener Ökonom, die selben Probleme im Wirtschaftssystem und dem Umgang damit seitens Politik und Gesellschaft, sieht. Wer Details über Banken- und Finanzkrise, die Verlogenheit der neoliberalen Deregulierung und den Zusammenhang zwischen Umverteilung im Kapitalismus und sozialen Krisen wissen möchte, wird hier fündig.