Politik und Consulting, Teil 2

Betrachtet mensch nun die andere Seite: also nicht Politiker*innen, die “nebenbei” auch beraten, sondern “the big four” im Consulting (KPMG, PWC, EY, McKinsey), die auch so ein bisschen in Politik machen… Tja, ihr ahnt es, dann ist das auch nicht besser.

Politik höchster Ebenen, vorrangig meine ich hier Ministerien auf Bundesebene, haben sich in letzter Zeit abhängig gemacht, von Beratungsleistungen der “big four”. Das ist auf diversen Ebenen falsch:

1. haben die Ministerien durchaus fähiges Personal – oder Mittel, dieses Personal zu befähigen

2. entsteht so eine Abhängigkeit, die entweder ausgenutzt werden kann, horrende Preise aufzurufen oder einfach gefährlich ist, weil die Ministerien immer verantwortlich sind, ihre Aufgaben zu erfüllen, die Consultingfirmen aber nicht, wieder zur Verfügung zu stehen

3. ist hier nicht sichergestellt, dass die Beratung im Interesse der Allgemeinheit bzw. im Einklang mit den Zielen der jeweiligen Regierung ist, sondern sie kann (auch ohne böse Absicht) in eine Richtung verzerrt sein, die den sonstigen Zielen der “big four” entsprechen

4. werden ggf. schlicht Steuergelder verschwendet, weil z.B. Ursula von der Leyen (Beispiel rein zufällig) jemanden bei McKinsey (ebenfalls reiner Zufall) kennt, die genau das richtige Angebot für die Aufgabe hat (was dann nicht nachweisbar besser, nicht einmal nachweisbar gut, aber dafür nachweisbar teuer ist – so geschehen beim ohnehin anfälligen Bereich “Beschaffung” der Bundeswehr, vgl. meine Magisterarbeit)

5. werden komplizierte Vertragswerke fällig, wer wann wie was leisten muss – und häufig ist am Ende niemand haftbar – das untergräbt das Vertrauen in die Arbeit von Politik und Verwaltung (auch wieder rein aus interner Logik! Setzt keinen bösen Willen voraus!)

6. entstehen eigentlich die gleichen Probleme (teils, aber nicht vollständig, durch Punkte 1-5 abgedeckt), wie bei Public Private Partnerships (PPP) in anderen Bereichen entstehen – eine aufschlussreiche Doku dazu war bereits “Der geplünderte Staat” von 2014…

Was schließen wir nun daraus? Demokratische Politik unterliegt Forderungen nach Abstimmung und Transparenz. Es ist demnach notwendig, Beratungsleistungen für die Politik genau den gleichen Prinzipien zu unterwerfen. Wenn Beratungsleistungen zugekauft werden sollen, muss also in irgend einem Gremium abgestimmt werden, ob und nach welchen Kriterien das ausgeschrieben werden soll. Und die Verträge und Ergebnisse müssen offengelegt werden. Und dann wäre natürlich noch der Anspruch schön, dass in einem Staat wie Deutschland (über 80 Mio Einwohner, reiches Land, aktive Arbeitsmarktpolitik, hohe Zahl staatlich Beschäftigte*r), genügend internes Wissen verfügbar ist, um vorhersehbare Aufgaben allein mit Angestellten des öffentlichen Dienstes zu bewältigen. Wer behauptet, dass dies nicht gewährleistet ist, soll den Vergleich darlegen: was kostet es, diese Aufgabe “out-zu-sourcen” und was kostet es, dafür eigene Kräfte zu mobilisieren? Wenn mensch hier die Gründe 2-6 versucht gegenzurechnen, stelle ich es mir außerordentlich schwer vor, noch mit den “big four” als Lösung zu argumentieren…

Politik und Consulting

Da kürzlich die Frage aufkam, was eigentlich Politker (der Union) mit ihren Beratungsfirmen so während der Pandemie tun oder taten, möchte ich die Frage mal allgemeiner angehen.

Der Skandal: Politiker von CDU und CSU haben sich fürstlich entlohnen lassen, dass ihre Beratungsfirmen Masken besorgen können – eigentlich ein Cent-Artikel, aber eben aktuell rar… Wer schon hier Bauchdrücken bekommt, wegen dieser unangefochtenen Gültigkeit des Marktmechanismus (der ja auch in anderen Fällen eher der Marktmanipulation dient, als dem Wettbewerb) – der * die möge jetzt aufhören zu lesen.

Das ist natürlich unschön. Die Doppelrolle als Kümmerer bzw. Krisenbewältiger und dann auch noch als gewiefter Geschäftsmann, das hat G’schmäckle, das ist ein Interessenskonflikt. Aber was ist denn allgemein davon zu halten, wenn Politiker*innen nebenbei noch im Consulting tätig sind? Ist doch ganz natürlich, dass umtriebige Menschen, die wissen, wo und wie welche Entscheidungen zustande kommen, gut geeignet sind, andere Menschen in Entscheidungsfindung zu beraten, oder? Ist doch gut, wenn das Volk Vertretende wissen, was in der Wirtschaft gefragt ist… Berufspolitiker*innen, die jeden Bezug zur arbeitenden Bevölkerung verloren haben, kann doch keine*r wollen!? Naja, warum gehen die Vertretenden dann nicht putzen, um mal den Kopf frei zu kriegen? Oder ehrenamtlich was mit Senioren unternehmen? Oder Maschinen im produzierenden Gewerbe bedienen? Nagut, das ist jetzt polemisch. Ja, wieso eigentlich?

Gerade die Tätigkeit im Consulting liegt zwar nahe, ist aber äußerst problematisch. Das liegt einerseits daran, dass hier Insiderwissen aus der Politik (und gute Kontakte) an Lobby-Interessen weiterverkauft werden (können). Und in vielen Berufen gibt es klare Regeln im Arbeitsvertrag, dass kein Insiderwissen an Konkurrenten weitergegeben werden darf – warum soll das ausgerechnet beim Gemeinwohl anders sein? Warum unterschreibe ich bei einer Maschinenbaufirma, dass meine Ideen während der Arbeitszeit dem Unternehmen gehören und ich vielleicht sogar gesperrt bin, sechs Monate nach Ende des Arbeitsvertrags in derselben Branche weiterbeschäftigt zu werden – aber als Politiker*in darf ich zeitgleich alle Interna an interessierte Dritte verkaufen?

Und andererseits ist eine Erkenntnis aus der Betrachtung vieler Korruptionsskandale, dass Beratungshonorare eine der Lösungen par excellence sind, um Bestechungsgelder juristisch rein zu waschen. Sagen wir, ich habe als Politiker für eine Branche eine besonders günstige Regelung erwirkt oder dafür gesorgt, dass mein Ministerium die Einhaltung bestimmter Regeln ein paar Jahre nicht überprüft – das wäre doch aus Sicht des Branchenverbandes oder des führenden Unternehmens in diesem Bereich eine kleine Anerkennung wert, oder? Aber wenn ich nun plötzlich Summe X überwiesen bekomme, könnte das den Eindruck erwecken, ich wäre käuflich – pfui! Na, dann habe ich eben die Firma oder den Branchenverband beraten. Wegen meiner Expertise. Und ich habe ganz sicher fünf Stunden Fachgespräch mit denen geführt, Coaching, Erfahrungsaustausch. Und da mein Wissen und meine Fähigkeiten einzigartig sind, ist es vollkommen angemessen, dass ich für diese fünf Stunden (und die reichliche Vorbereitung, die ich dafür hatte) 580.000€ Honorar bekomme. Sie erinnern sich an den Marktmechanismus oben? Wenn das Angebot derart rar, aber nachgefragt ist, dann sind auch reichlich 100.000€ Stundensatz angemessen. Logisch oder? Nix verdächtiges dran. Beweisen Sie das Gegenteil!

Und das ist der Grund, warum ich diesmal keine Unschuldsvermutung habe. Die Erfahrung lehrt uns, dass es hier angemessen wäre, diese umzukehren: wer trotz Bundestagsmandats noch weitere Berufe ausüben will, soll deren Nutzen und Unbedenklichkeit nachweisen anstatt anders herum. Es gibt jede Menge bezahlter Tätigkeit, die ich für lobenswert und angebracht hielte, aber parallel eine Beratungsfirma zu halten, ist das verdächtigste, was ich als Politiker*in machen kann. Ende der Durchsage.

große Fragen und Motivationsloch

Es ist Ende Februar 2021. Kürzlich habe ich bemerkt, dass ich ganz schön zynisch geworden bin, wenn es um Zukunftsperspektiven und praktische Fragen meines sozialen Engagements geht. Was ist zwischen 2018 – wo ich noch recht kämpferisch und idealistisch war – und 2021 passiert? Bin ich einfach nur älter geworden, sickert das “Mitte-30-Gefühl” langsam durch? Nein! Dazwischen war noch was: da war die Eskalation des Trumpismus, QAnon, Querdenken… Da war zu beobachten, wie China mit allem, was machiavellistisch-unmoralisch ist, nicht nur davonkommt, sondern Erfolge feiert und für “Pragmatiker” gar eine Vorbildwirkung haben könnte. Genau: ich schreibe bewusst von den Reaktionen der Menschheit auf das neue Corona-Virus und nicht von der Pandemie als Krise selbst. Dass Probleme auftreten, ist nicht weiter schockierend, damit muss man rechnen, das ist halb so wild. Schlimm wird es, wenn sich dann überall die Fratze menschlicher Niedertracht und des Selbstbetrugs zeigt. Schlimm wird, wenn wir uns nicht nur schwer tun, besagte Probleme zu lösen, sondern auf Jahrzehnte hinaus neue Wunden aufreißen, die alle errungenen Erfolge der Zivilisation in Frage stellen – kurz wenn sich das Wesen des Menschen als größeres Problem herausstellt, als die Probleme, mit denen die Menschen “von außen” konfrontiert sind.

In so einer Situation geht es ans Eingemachte. Da steht die Frage nach dem Sinn im Raum. Lohnt sich das Hoffen? Wenn ja für wen und worauf? Dann hilft ein Blick in die Geschichte, um ein bisschen aus der eigenen Blase “heraus zu zoomen”. Ich muss zugeben, das führt mich direkt zum Zynismus zurück. Aber auch einer gewissen Abgeklärtheit. Mich kann es beruhigen, aber ob es richtig ist, ob die Frage nach gut oder schlecht hier überhaupt noch Raum hat, beginnt sich aufzulösen im Zoom, der immer weiter in den Kosmos hinausfliegt – was kümmert den Planet Erde der Mensch? Das Devon und das Ordovizium haben geendet, es gab das Perm-Massenaussterben und das ikonische Ende der Dinosaurier… Das Antropozän wird auch enden. Und dann dieses lächerliche Sonnensystem irgendwo in einem Arm der Milchstraße. Und die Milchstraße irgendwo in einem Kosmos voller unterschiedlicher Galaxien und nichtmal was dieser Kosmos ist, ob er Paralleluniversen hat, ob er selbst als Ganzes ein endloser Kreislauf aus Wiedergeburten ist – wir wissen nichts! Sich jetzt selbst so ernst zu nehmen, dass die Probleme der Menschen, die 2021 (nach einer an sich schon ziemlich lächerlichen und selbstbezogenen Zeitrechnung!) leben, irgendeine Rolle spielen würden – wäre das nicht lächerlich? Würde es sich nicht einreihen in diese ständige Arroganz, dass genau der kleine Ausschnitt, den man selbst sehen kann, der wichtigste der Welt sei? Also sowas wie “first world problems” oder die Arroganz der “westlichen Demokratien”?

Und nochmal zurück zur mittleren Auflösung irgendwo zischen der Frage wann die Baumärkte wieder öffnen und den Grenzen des Universums: also der angesprochenen Geschichte. Was wissen wir denn über die großartigen Reiche? Sie haben versucht Legitimität herzustellen. Es haben sich soziale Ordnungen und Moral entwickelt. Schon im Gilgamesch-Epos stellt sich die Frage nach Sinn und Gerechtigkeit. Wir können davon ausgehen, dass dies die erste noch erhaltene Überlieferung, aber nicht das erste Mal ist, dass Menschen ganze Epen und Glaubenssysteme rund um diese Fragen gebastelt haben. Aber dennoch bestehen die Probleme weiter: Machtmissbrauch, Ressourcenverschwendung, Gesetzesbrüche aller Art und am Ende geht das Reich unter. Immer wieder. Sie alle haben sich mit den Problemen ihrer Zeit auseinandergesetzt, sie hielten es für wichtig, ob sie Steuern und Zölle an Troja zahlen müssen, ob sie zu Marduk oder Ischtar beten sollen, ob der Kaiser die Ordnung des Himmels verkörpert, ob sie genug geopfert haben, damit die Sonne wieder aufgeht, ob sie mutig genug sind nach Valhal zu kommen… Und dann ging das Reich unter. Also was soll der Quatsch? Soll ich mir Sorgen um die neofaschistische Internationale machen? Haben die Menschen Recht, die von mir verlangen, mich kritischer mit meinen Privilegien auseinanderzusetzen? Soll ich für Elektromobilität kämpfen – oder lieber gleich das Ende motorisierten Individualverkehrs? Muss ich mir Sorgen machen, was für Menschen aus den Schüler*innen werden, die prägende Jahre ihrer Jugend im Lockdown verbringen? Keine Ahnung.

Bei all der Ratlosigkeit bleibt, dass ich nicht daran glauben kann, dass wir jetzt besser wissen, als alle Vorgänger-Generationen, wo wir stehen und wo wir hin müssen. Wäre ja auch ziemlich vermessen. Das fängt ja schon beim “wir” an – das spaltet sich gerade gehörig auf und so sehr ich Spaltung und Gräben vermeiden möchte, mit einigen, die sich da gerade offenbaren, möchte ich mich auch nicht gemein machen. Zack! Schon wieder ein unlösbarer Widerspruch. Also wird es wohl kommen wie immer mit der Menschheit: es geht irgendwie weiter (wenn wir nicht zu weit heraus zoomen). Es wird Gruppen geben, die unterschiedliches anstreben. Es wird Rückschläge geben für Gruppen und Ideale. Und es wird nichts besser, unterm Strich.

Die entscheidende Frage könnte sein: ist der endlose und aussichtslose Kampf “der Guten” (gibt es natürlich per se nicht, aber gewisse Ideale und moralische Ansprüche haben sich ja über die Zeit bewährt) notwendig? Müssen die Hobbits permanent den Saurons und Sarumans die Stirn bieten, nur damit es keinen endgültigen Absturz gibt? Oder ist es eine individuell-philosophische Frage, ob wir besser leben, wenn wir an irgendwas glauben? Geht es bei der Entscheidung, sich um die Welt in der wir leben zu sorgen, nicht um die Welt, sondern unser eigenes Wohlergehen? Ist das einfach eine Beziehung, die mensch pflegen sollte, um sich nicht zu entfremden? Zumindest bin ich aktuell nicht in der Lage, eine Perspektive einzunehmen, die mich zu konkreten Schritten aus meiner Komfortzone heraus motiviert. Und das wiederum fühlt sich auch nicht schlecht an. Ist nur nicht sonderlich im Geiste des Silberstreif-Untertitels.

Geld für morgen, nicht gestern!

Es gabe eine Aktion von „wemove.eu“ zu den anstehenden Wirtschaftshilfen der EU, dazu habe ich auch eine Mail an die Abgeordneten von Sozialdemokraten und Konservativen verfasst:

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

bitte haben Sie den Mut, eine Welt mit zu gestalten, in der wir alle leben können. Dafür braucht es eine EU, die als demokratisch wahrgenommen wird. Und dafür braucht es mehr Verteilungsgerechtigkeit, mehr Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz. Alle diese Kernthemen für unsere Zukunft stehen zur Entscheidung, wenn Sie am Mittwoch über Wirtschaftshilfen diskutieren. Dass große Konzerne dabei eine gewisse Position haben ist klar.
Bitte unterschätzen Sie Ihre (und unsere) Position nicht! Aus Sicht einiger Unternehmensvertreter dürfte das ein Basar sein: wer härter verhandelt, holt mehr raus. Halten Sie dagegen, wenn es um Partikularinteressen geht, verlangen Sie eine Zukunftsperspektive für uns alle – im Gegenzug für Ihre Hilfen. Das ist ja wohl das Mindeste, was die Empfänger uns schulden. Für den BWLer im Unternehmen mag es ein Basar sein, für Sie als Politiker geht es um Gestaltungsspielraum und für den Planeten um die Zukunft! Brust raus, Herz auf 🙂

In wenigen Tagen wurde dieser Appell von mehr als 240.000 Menschen unterzeichnet. Ich bitte Sie dringend, in der öffentlichen Debatte auf den Appell Bezug zu nehmen: https://www.wemove.eu/wiederaufbau.

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass das Primat der Politik bestehen kann und dass Bürger*innen sehr wohl bereit sind, drastische Maßnahmen mitzutragen, wenn es klare Vorgaben und ein gemeinsames Ziel gibt. Das zeigt auch, was bei der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft möglich ist. Die Erzählung, dass nur funktioniert, was sich finanziell rechnet (natürlich von denen vorgetragen, die viel zu gewinnen und verlieren haben), hat ausgedient. Lassen Sie sich nicht vormachen, dass Konzerne wie VW, die mit Betrug den Erhalt ihrer alten Technologie sichern wollten, besser wüssten, was gut für unsere Zukunft ist! Deren Aufgabe ist es, Gewinne zu erwirtschaften, koste es, was es wolle. Ihre Aufgabe ist es, Weichen zu stellen, die diese Energien in Bahnen lenken, die dem Wohle aller dienen. Und die aktuelle Erfahrung zeigt: Sie können Weichen stellen. Politik und Zivilgesellschaft sind handlungsfähig.

Der Parlamentsbeschluss von Donnerstag muss unmissverständlich die Europäische Kommission und den Europäischen Rat auffordern, ein wirklich grünes, innovatives und sozial gerechtes Investitionsprogramm aufzulegen.

Mit freundlichen Grüßen, Jonas Pretzsch

Schulden zur Krisenbewältigung?

Wenn wir aktuell als EU (und andere staatliche Einheiten) klassisch Schulden aufnehmen, dann müssen wir die irgendwann (evtl. gar mit Zinsen) zurück zahlen. An wen? Na an Privatleute und Banken, die bereits jetzt vermögend sind, sonst könnten sie ja nix ausgeben/verleihen/investieren. Wenn das von normalen Steuerzahler*innen eingesammelt werden muss, wäre ja äußerst hart und ungerecht. (Das wäre dann wohl leider der Moment, an dem die AfD und ähnliche wie Phoenix aus der Asche ihres aktuellen Tiefs erstehen würde und erneut NICHT die wahren Missstände anprangerten, aber von Missständen, die alle spüren, profitierten.)

Also könnten doch (im Sinne der Modern Monetary Theory – MMT) die Zentralbanken einfach jetzt Geld mit vollen Händen austeilen (Stichwort Helikoptergeld). Das gäbe natürlich faktisch eine Inflation. die würde aber erst durchschlagen, wenn die Wirtschaft sich normalisiert. Und dann kann die Zentralbank die Geldmenge ja wieder reduzieren, Geld einziehen. Am besten per Negativzins, um Vermögen abzuschmelzen. Denn Zahlungen während der Krise gehen ja hauptsächlich an bereits Vermögende: wenn wenig Produktion und Dienstleistung entsteht und konsumiert wird, ist auch wenig Arbeit da. Und wer sein Geld durch Arbeit verdient, leidet. Wer hingegen leistungslose Einkommen hat (Mieteinnahmen, Dividenden, Aktienkauf, Geld verleihen) muss weiterhin bedient werden. – Wenn das zusätzlich ausgegebene Geld also genau an den stellen wieder eingesammelt würde, wo es sich dadurch konzentriert, wäre nur gerecht.

Um das klar zu stellen: die Zentralbank gibt zusätzliches Geld ins System, dieses fließt hin zu den vorhandenen Vermögen und wird dann wieder abgeschöpft. Es wird also nicht „den Reichen“ etwas weggenommen, von dem alle profitiert haben, sondern es wird übergangsweise der Kreislauf am Leben gehalten und genau das, was dafür zeitweise geschaffen wurde, wieder eingezogen. Darin besteht kein moralisches Problem. Vielleicht könnte man sogar eine Grenze für Vermögen einziehen und den Negativzins erst „erheben“, wenn die betreffende Summe bspw. 100.000€ überschreitet. Zusätzlich mit der Ausnahme, dass staatliche und gemeinnützige Institutionen sowie Firmen mit einem gewissen Schlüssel aus Angestellten zu Jahresgewinn ausgenommen werden. Wer also selbst eine relevante Rolle für das Gemeinwesen erfüllt, bleibt von Negativzins verschont.

Das Grundeinkommen als Krisenhilfe

Es sieht gerade nicht gut aus für die EU, erst die fehlenden Einigungen über Flüchtlinge, dann die ganzen Neu-Rechten (bis hin zu Fällen wie Orbans“neuem Ungarn“) und jetzt kaum Handlungswille oder Handlungsfähigkeit bei Corona. Das Ganze vor dem Hintergrund künftiger Herausforderungen wie Klimawandel und Wechsel der Weltmächte. Es wird dringend Zeit, neue Wege zu beschreiten – mehr Solidarität, mehr Bürgernähe, Mut für neue Richtungen!

Vom Allgemeinen zum Konkreten: die wirtschaftlichen Folgen des Corona-Shutdowns, müssen abgefangen werden. Die Schwachen allein (sowohl EU-Staaten, als auch Menschen) werden es nicht schaffen. Die EU muss handeln, um nicht in eine faktische Selbstauflösung zu schlittern. Rettungsschirme und Euro-Bonds sind im Gespräch, aber da gibt es keine klaren Favoriten und viele Unwägbarkeiten. Ein Grundeinkommen hingegen hat viele Vorteile: Es ist ein relativ leicht verständliches Werkzeug. Es setzt direkt bei den Menschen an ohne nach Macht zu fragen. Es würde sofort Wirkung zeigen – sowohl bei Popularität als auch als ökonomische Erst-Hilfe.

Bitte unterstützt die Idee: https://you.wemove.eu/campaigns/notfall-grundeinkommen

Und weil die EU leider alles andere als ein sicherer Partner dafür ist, macht es trotzdem Sinn, auch in Deutschland anzusetzen. Hier braucht es auch den Umweg über Initiativen wie WeMove nicht, hier gibt es direkt eine Petition über die Plattform des Bundestags: https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2020/_03/_14/Petition_108191.nc.html

Vielen Dank für Eure Unterstützung 🙂

Ein kleiner Nachtrag dazu: Wieso könnte es gerade jetzt gelingen das Grundeinkommen durchzusetzen, wieso ist das ein historisches Zeitfenster? Aus drei Gründen:
1. Wissen in der EU alle, dass sie jetzt große Summen in die Hand nehmen und schnell handeln müssen. Damit bietet sich das Grundeinkommen an, weil die Idee bereits viel diskutiert wurde in den letzten Jahren und mit einem geschärften Profil auch an Unterstützung gewonnen hat. Wenn schon Schnellschuss, dann lieber etwas, das man sich irgendwie vorstellen kann.
2. Damit greift aktuell das alte Lieblings-Argument, dass das alles nicht bezahlbar sei, kaum noch – denn alle Programme, über die jetzt nachgedacht werden muss, sind nach konservativer Haltung nicht finanzierbar. Es gelten plötzlich andere Gesetze für ökonomische Vernunft.
3. Brauchen wir uns um die (wie ich anderswo schon ausgeführt habe wohl unbegründete) Angst, dass sich mit Grundeinkommen alle nur noch auf die faule Haut legen würden, keine Gedanken zu machen. Aktuell sollen alle faul daheim bleiben – weniger arbeiten, weniger konsumieren.
Der Zeitraum für die Einführung eines Grundeinkommens (und sei es erstmal nur vorübergehend für die Notsituation) ist also so günstig wie noch nie! Dieser Schwung sollte genutzt werden.

Lernen aus Corona-Krise

Mir sind zur aktuellen Lage in der Corona-Krise ein paar Gedanken durch den Kopf gegangen – Vermutlich geht es Ihnen ähnlich.
Mich hat zuerst mal überrascht, dass wir ein so simpel aussehendes, aber doch unlösbares Dilemma haben: immer fließt Geld im Kreis, wenn es plötzlich stoppt, ist es wie bei „Reise nach Jerusalem“, wenn die Musik aus geht – nur halt, dass mehr als nur ein Stuhl fehlt.
Konkreter: ein Restaurant muss schließen, weil es keine Gäste mehr aufnehmen darf, es muss sein Personal entlassen, die verdienen nix mehr, können evtl. keine Miete und kein Essen mehr bezahlen. Und: ein Autohersteller bekommt keine Teile aus China mehr, stellt die Produktion ein, seine regionalen Zulieferer müssen auch schließen – und eigentlich ihre Leute entlassen oder insolvent gehen. Und: ein Einkaufszentrum bekommt keine Kunden mehr, weil die nicht vors Haus wollen oder dürfen, also machen sie zu, haben aber laufende Kosten…
Weil also keiner mehr Geld vom anderen bekommt, gehen alle pleite. Moment mal?
Wieso fehlt eigentlich Geld, das in unveränderter Menge da ist, nur weil es nicht fließt? Könnten wir nicht alles einfrieren, Pausetaste drücken, wenn jemand eine Rechnung zu begleichen hat, wird einfach gesagt „machen wir, wenn es wieder weiter geht“? So wie Anschreiben in der Stammkneipe. Die Kette von abfließendem Geld wird unterbrochen.
Das einzige, was sich nicht pausieren lässt, ist Nahrungsmittel- und vielleicht Energie- Konsum. Könnte man das nicht staatlich auffangen (ohne dass ich konkret wüsste wie das geregelt sein kann)? Noch ein Gedanke zur Mietzahlung: wenn es so wäre, dass z.B. das Restaurant seine Mitarbeiterinnen entlassen muss, weil es keine Einnahmen mehr hat, aber die Miete müsste es weiter zahlen, wäre etwas grundsätzlich schief, das leistungslose Einkommen muss gezahlt werden, aber alle anderen nicht. Tendenziell würde das Einkommen für Menschen, die es nicht dringend brauchen (die meisten Vermieter sind vermögend und würden nicht hungern sobald diese Einnahme ausfällt – Sanierungen etc. können während einer Pandemie ruhen) weiter gezahlt werden auf Kosten derer, die davon leben müssen (Kellnerinnen und Köche z.B.). Daher: keine Leistung, die nicht absolut notwendigerweise erbracht werden muss, muss bezahlt werden. Also keine Restaurantgäste bedeutet keinen Lohn für den Gastronom, keine Löhne für sein Personal, keine Miete, kein Einkauf, keine Steuern – alles auf Pause. Das einzige was weiterlaufen muss, das ist die Versorgung mit Lebensmitteln, Zahlung nur an Bauern und Einzelhandel, das wird direkt durch einen Staatskredit oder aus dem Steuertopf finanziert. Solidarisch. Alle anderen Kettenglieder werden übersprungen. Denn sonst findet eine Art Schwarze-Peter-Spiel oder halt „Reise nach Jerusalem“ statt, jeder versucht sein Geld noch zu bekommen, obwohl alle wissen, dass irgendwer leer ausgeht. Unsolidarisch. Dieses Prinzip ist natürlich nur anwendbar, wenn es eine Naturkatastrophe, wie aktuell die SARS-CoV-2-Pandemie gibt. Also nur, wenn alle betroffen sind, aber niemand schuld ist. Oder vielleicht doch die Idee mit dem Grundeinkommen? Alle Bürgerinnen bekommen für die Dauer der Krise ein Grundeinkommen vom Staat, jeder kann überleben, für Gewinne, die darüber hinausgehen muss aber niemand aufkommen. Also der Autohersteller und das Einkaufszentrum haben Pech, wenn nun seine Aktien und Gewinne fallen, die Angestellten dort – sogar die Aktionäre – alle bekommen Grundeinkommen auf Staatskredit, Notversorgung. Niemand hat jetzt Anspruch darauf, ein sechsstelliges Gehalt zu bekommen, aber es wird auch niemand verhungern.
Was mir im Zuge dieser Gedankenexperimente auffiel: es ist eigentlich ein umgekehrtes Wörgl. Die alten Frei- und Regiogeld-Ideen beruhen darauf, Geld wieder zum Fließen zu bringen, weil die Krise die Unterbrechung wirtschaftlich sinnvollen Tuns war. Jetzt aber ist eine Unterbrechung wirtschaftlichen Tuns nötig (wie vielleicht anders skaliert und nicht auf alle Branchen bezogen, dafür aber zeitlich unbegrenzt, in der Klimafrage nötig
– Stichwort Postwachstum?). Welche Geldkreisläufe ermöglichen ein Herunterfahren der Wirtschaftsleistung auf das Überlebensnotwendige ohne Kollaps? Wenn das aktuelle Zeitfenster genutzt wird, darauf gute Antworten zu finden, könnte es ein großer Fortschritt in Sachen Nachhaltigkeit werden!
Der Gedanke wurde ja schon vorsichtig aufgegriffen, z.B. hier
und vielleicht haben Sie auch schon Gespräche dazu geführt: Corona schafft, was Klima-Politik nicht geschafft hat: auf einmal können wir anders handeln, 180-Grad-Wende – Menschen retten geht vor Wirtschaft, und Schaden an der Welt wird minimiert.
Weniger sinnfreie Produkte hergestellt, weniger Konsum, weniger Verkehr… Natürlich möchte auch ich nicht sagen „gut, dass Corona dazwischen kam“ – denn ganz klar ist es eine Katastrophe unter der viele leiden, noch viele mehr leiden werden und die Menschen tötet. Das ist nichts Wünschenswertes! Aber könnte es gelingen, den Ausnahmezustand als Blaupause dafür zu verwenden, was wir wirklich brauchen – und
worauf wir verzichten können bzw. sollten?
Wir brauchen Nahrung, medizinische Versorgung, politische und administrative Strukturen, Elektrizität, Wasser, digitale Infrastruktur und rücksichtsvolle Mitmenschen. Aber brauchen wir so viel Autoverkehr, so viele Flugreisen, so viel Shopping? Falls wir nun gezwungenermaßen mehr Ruhe und Zeit mit uns selbst haben werden – für viele ist ja aktuell noch Stress mit der Umstrukturierung von Arbeit und Kinderbetreuung – aber
wenn es plötzlich ruhig wird, können wir ja noch mal in uns gehen und wirken lassen, was uns wichtig ist und worauf wir verzichten können, wenn wir einsehen, dass Verzicht nötig ist. Vielleicht sind sich da die Rettung der Menschheit vor dem Virus und die Rettung des Planeten vor dem Kollaps des Ökosystems gar nicht so unähnlich.
Und was für ein Geldsystem brauchen wir dann? Kann es eines geben, das politisch flankiert auch Stillstand und einfach nur kostendeckendes Produzieren, Handeln, Dienstleisten aushält? Eines das nicht ständig wachsen und umlaufen muss, um zu funktionieren? Das als Tauschmittel aber zur Verfügung steht, wenn es eine Nachfrage danach gibt?

Offener Brief

Eine Mail, die ich kürzlich geschrieben habe und für geeignet halte, hier für jede*n gezeigt zu werden.

Hallo Ihr Lieben :-)

Wie Ihr wisst, war ich gerade auf dem KlimaCamp im Leipziger Land. Dort
habe ich diesmal keine Aktionen mitgemacht und auch wenig konkretes aus
den Workshops mitgenommen. Deshalb möchte ich wenigstens die großen und
entscheidenden Veranstaltungen besuchen, die bald anstehen. Und noch ein paar nette Menschen dazu einladen - das seid Ihr und jede*r, die Ihr noch mitbringen möchtet [spread the word!] ;-)

Am Dienstag 13.08. ist in der Neustadt Verkehrswende-Demo (14:30uhr
Alaunplatz, dazwischen, 15:30uhr Albertplatz). Da latschen wir nicht nur rum, sondern nutzen die Straßen auch um: Liegestühle, Ballspiele,
Topfpflanzen - bringt alles mit und habt eine gute Zeit, die zeigt, wie
man solche Straßen besser nutzen kann, als für private Autos!

Am 24.08. ist große "unteilbar" Demo. Das ist wirklich wichtig! Es ist
die letzte große Demo vor der Landtagswahl, danach regiert die AfD und
wir werden verprügelt, wenn wir auf solche Demos gehen, also kommt ein
letztes Mal mit, damit Ihr später Euren Enkeln erzählen könnt, ihr
hättet es versucht. ;-) Nee, das war sarkastisch, sorry. Also ich hoffe, die Demo bewirkt was
- entweder Wahlausgang, weil alle, die nicht für die AfD sind, hin gehen und nen Block dagegen wählen
- oder dass wirklich keine Koalition mit der AfD gemacht wird, bzw. klar und demokratisch Stellung bezogen seitens "der Etablierten"
- oder dass alle wach werden, sich zu engagieren, die Pläne der AfD zu
vereiteln (keine Kürzung in Kultur und Jugendarbeit, kein Einsatz der
Polizei im Sinne von Rassist*innen etc.)
https://www.unteilbar.org/dresden/  <-- hier die Details

Später dann zum gleichen Thema (vermutlich 20.09. wo auch
internationaler Klimastreik angekündigt ist): engagierte Menschen
organisieren sich, um für den Fall, dass es doch Koalitionsverhandlungen mit der AfD in Sachsen, Brandenburg oder Thüringen geben sollte, koordiniert zu streiken. Das hängt natürlich noch ein bisschen von Wahlausgang, Nachrichtenlage direkt danach usw. ab - Aber es ist trotzdem wichtig, schonmal zu schauen, wer im Zweifelsfall den Hintern hoch bekommt und wer lieber mitschwimmt. Bitte sucht euch Menschen, die bereit wären, etwas zu tun! - Alles nochmal sehr schön erklärt, findet ihr hier: https://wirstreiken.org/aufruf/

Zuletzt möchte ich Euch noch auf "extinction rebellion", "fridays for
future" und "by 2020 we rise up" aufmerksam machen. Es findet ein
Austausch zwischen verschiedenen Aktivisti-Gruppen und Klimabewegungen
statt. Sie möchten koordiniert und gemeinsam Politik und Gesellschaft
bewegen. Demonstrieren gehen oder Bagger lahmlegen alleine reicht nicht!
Möglichst viele Menschen müssen möglichst deutlich (also auch mit
zivilem Ungehorsam und Verhaltensänderungen) zeigen, dass es so nicht
weiter geht. Haltet Euch auf dem Laufenden, was diese Gruppen so tun und an welcher Stelle Ihr vielleicht dabei sein könnt.
https://fridaysforfuture.de/allefuersklima/  
https://by2020weriseup.net/   Auf YouTube gibt es schöne Vorstellungen
der Gruppe "extinction rebellion" - also wer die sind und was die tun -
klickt euch da mal durch! (Habe ich noch nicht gesehen, aber scheint gut zu passen: https://www.youtube.com/watch?v=eopJw91cxL0)

Folgendes möchte ich abschließend sagen: es muss keine schreckliche
Belastung sein, zusätzlich zu allen Aufgaben, die ihr habt, noch diese
Verantwortung zu übernehmen! Es kann entweder schön sein, einfach mal
wieder unter Leute zu kommen oder eine Umstellung Eurer Prioritäten -
gebt lästige Aufgaben ab, nehmt Stress aus Beruf und sonstigem nicht
mehr so ernst - denn verglichen mit dem globalen Zusammenbruch unserer
Ökosysteme (oder der freiheitlichen Demokratie im Falle AfD & Co.) ist
das pille palle! Ihr habt die einmalige Chance, etwas wirklich wichtiges zu tun und nervigen Alltag abzustreifen, wie eine Schlange ihre alten Schuppen - macht was draus, das fühlt sich gut an :-)

---Liebe Grüße---Jonas---


Web-Links

Musik usw.:
Shaban und Käpt’n Peng (sind allgemein empfehlenswert) aber konkret zum Thema Wirtschaft, Gesellschaft und ARBEIT: Kündigung 2.0
Zum Thema Sicht auf sich selbst und die Welt: werbistich

Dokus und Interviews:
Robert Kennedy (eng.) zum GDP – Kritik daran alles mit dem Brutto-Inlands-Produkt zu messen, sehr treffend beschrieben, wieso Wirtschaftswachstum völlig an dem vorbei geht, was im Leben wichtig ist

Schmarotzer?

Was heißt eigentlich arbeitslos? Ist es unmoralisch nicht zu arbeiten und sich von den anderen „durchfüttern“ zu lassen? Wie an anderer Stelle erörtert, ist ja nun Arbeit auch nicht immer so eine tolle Lösung. Aber kann es richtig sein, einfach allgemein von Arbeitslosengeld zu leben?

Ich denke in Anbetracht der hohen Produktivität unserer Wirtschaft ist es nicht notwendig, dass alle im klassischen Sinne arbeiten. Für die Einzelne*n ist es jedoch schon notwendig, etwas beizutragen. Rein psychologisch tut es schon mal sehr gut, für die Gemeinschaft etwas zu leisten. Also sollten Netzwerke gestärkt werden, wo alle etwas beitragen können. Als Vorbild kann das Ehrenamt dienen. Es braucht Raum, einander zu begegnen, um diese freiwilligen Beiträge zu ermöglichen.

In diesem Sinne finde ich ein bedingungsloses Grundeinkommen sinnvoll. Verglichen mit dem status quo (Arbeitslosigkeit, die stigmatisiert wird, und Arbeit, die krank macht oder massive Schäden bei Mitmenschen und/oder Ökosystem anrichtet) finde ich das moralisch überlegen. Außerdem ist die moralische Argumentation verzerrt: wenn jemand aus Faulheit nichts beiträgt und sich von anderen „durchfüttern“ lässt, ist das unter Umständen ein Problem. Diese Umstände heißen Mangel oder sehr harte Anstrengung, um die Bedürfnisse befriedigen zu können. Gelten diese aktuell? Ich denke nicht.
Und was ist Faulheit? Wie vorhin erwähnt, ist es psychologisch von hohem Wert, etwas beitragen zu können. Ich glaube daher, dass eine gut funktionierende Gemeinschaft Optionen anbietet, sich einzubringen (sei es durch Kunst, als Ratgeber*in oder andere Dienste). Und ich glaube, dass ein gesundes Individuum, das gelernt hat, in dieser Gemeinschaft seine Bedürfnisse sozialverträglich zu befriedigen (Aufgabe von Pädagogik), davon selbstständig Gebrauch machen wird. Jede*r wird ab und zu faul sein und einen „Null-Bock-Tag“ haben, aber ein gesundes Individuum in einer gesunden Gemeinschaft wird das nicht als Dauerzustand frei wählen. Autorität und Zwang sind an dieser Stelle (wie an allen anderen Stellen, wo etwas gut funktioniert) nicht nötig!

Ich glaube eher, die Betrachtung von „Schmarotzern und Nichtsnutzen“ beruht auf der Beobachtung dysfunktionaler Gesellschaften. Wo Menschen psychischem Druck ausgesetzt sind, wo sie gegen ihren eigenen Willen handeln müssen (zum Beispiel jede bezahlte Tätigkeit annehmen, mit Wecker aufstehen ohne zu wissen wofür) – und wo sie ausgebeutet werden – da lässt sich Antriebslosigkeit und Verweigerung beobachten. Aber das ist berechtigt. Wenngleich dieser Zusammenhang von den Betroffenen selten bewusst so erlebt und so nachvollziehbar begründet wird. Dafür sitzt die ständig wiederholte Begründung für diese angeblichen Notwendigkeiten viel zu tief in unseren Köpfen.
Das ist ein Zeichen für schlechte soziale Verhältnisse und nicht für schlechte Individuen. Wieso sollte ich motiviert sein, bei dem täglichen Einsatz für das Vermögen meines Chefs die Umwelt zu zerstören oder „unsere“ Kund*innen übers Ohr zu hauen? Richtig! Wenn solche Jobs der Normalzustand sind, sind auch unmotivierte Arbeiter*innen normal. Das ist kein Beleg dafür, dass jede*r prinzipiell lieber faul wäre und mit niemandem was zu tun hätte.