Neue Rechte und Corona-Gegner

Natürlich ist der Begriff „Corona-Gegner“ irgendwie unscharf und streng genommen Humbug (was dann ja wieder ausgesprochen treffend ist). Aber ich bleibe einfach mal dabei, weil ja im Wesentlichen klar ist, wer damit gemeint ist. Die Tatsache, dass sich Menschen, die sich in der Pandemie lieber an Verschwörungsmythen wenden, als sich der unangenehm vertrackten Realität zu stellen, massenweise von rechts vereinnahmen lassen, ist der eigentliche Grund, wieso ich diesen Artikel für wichtig genug hielt, ihn zu schreiben und hier zu veröffentlichen. Denn diese neue „Allianz aus Versehen“ ist beängstigend. Wie schon erwähnt deuten die Arte-Dokus sehr gut auf die Strategien und Arbeiten im Hintergrund hin, die die Entwicklung für sich nutzen wollen – und alles andere als zufällig aussehen lassen. Das Internet und die Pandemie sind beste Voraussetzungen, um zu spalten und Narrative von Notwehr in die Köpfe zu bringen. Und da es ja bereits mit den Verschiebungen in der Geo-Politik und der Klimakrise genug Themen gab, die zu Verunsicherung führen können, ist es eine gute Zeit für zynische Akteure aus dem rechten Spektrum (was ja für beide Dokus gilt). Sie nutzen die Lage für sich. Sie müssen weder von einem Ideal überzeugen, dem sich Menschen anschließen, noch müssen sie konsistent gegen etwas argumentieren. Ihnen reicht es, die Verunsicherung zu einer Zersplitterung auszubauen und die mediale Aufmerksamkeit für groteske Narrative zu nutzen. Das groteskeste, was ich in diesem Kontext beobachtet habe und erst einmal verstehen musste, ist die Verharmlosung des Dritten Reichs. Man möchte meinen, dass überzeugte Nazis dieses verteidigen oder glorifizieren möchten. Das allerdings fällt sofort auf und wird zu Recht ausgegrenzt und verurteilt. Wenn Menschen des rechten Spektrums aber plötzlich überall „Meinungsdiktatur“, „Impf-Terror“ und „Machtergreifung“ wittern, dann ist das paradox. Seit wann finden Nazis Diktaturen schlecht und verteidigen unsere staatsbürgerlichen Freiheiten? Ganz einfach: tun sie nicht. Sie haben nur erkannt, dass sich Grenzen zwischen Recht und Unrecht verwischen lassen, wenn ich die Kritik an jenen, die sich nicht impfen lassen wollen, mit Pogromen und Ausgrenzung von Juden gleichsetze. Auf einmal stellen sich Verteidiger nationalistisch-völkischer Ideale selbst als Juden dar. Noch immer, auch wenn ich es sachlich zu verstehen beginne, schüttelt es mich – einerseits schüttel ich ungläubig den Kopf und andererseits schüttelt mich der Ekel. Das meine ich mit Zynismus. Wie offen unaufrichtig kann man eigentlich sein? Und trotzdem noch Anhänger finden „die einem glauben“? Ein Irrsinn! So irre, dass vermutlich viele Corona-Schwurbler noch gar nicht gemerkt haben, in welcher Suppe sie schwimmen.

Was soll das Ganze jetzt bringen? Junge Menschen, die ihre Identität und ihr politisches Verständnis in dieser Zeit erst entwickeln, werden reihenweise auf allen online-Kanälen mit kruden Ansichten bombardiert. Ich würde mal behaupten, dieses Gewirr ist schwieriger als Beeinflussung zu enttarnen und zu hinterfragen, als die Beeinflussung, die wir ja auch hatten. Dass Deutschland geläutert und der Welt wohlgesonnen ist, dass die USA unser Freund sind und der Kapitalismus ein Heilsbringer, dass es in der BRD keine Korruption gibt und eigentlich alles super läuft – außer irgendwelche radikalen Spinner quatschen dazwischen – das wurde mehr oder weniger so präsentiert. In diesem Sinne natürlich, dass die Ossis froh sein sollten, wie durch ein Wunder ihre Freiheit erlangt und mit freundlicher Hilfestellung in dieser BRD willkommen geheißen worden zu sein… Das war auch Beeinflussung, aber das ließ sich doch relativ gut durchschauen und war möglicherweise von gutem Willen getragen oder zumindest nicht total im Widerspruch zu einem solchen. Die für-queren Ansichten, die Verschwörungsschwurbler und Neu-Rechte hier in die Welt setzen (vermutlich, die Verwirrung unterstützend, ergänzt durch alle möglichen Trolle, denen der Niedergang westlicher Gesellschaften gelegen kommt), dürften schwieriger zu verstehen sein. Junge Menschen also, die sich in dieser wirren Zeit selbst politisch sozialisieren, werden nun gezielt dieser Relativierung von Begriffen wie Diktatur oder Zensur ausgesetzt.

Im Einzelnen sind die Thesen ja noch gut widerlegbar, vor allem, wenn man ihre Stoßrichtung erst einmal erkannt hat. Also wenn da einer mit einem Schild „Meinungsdiktatur“ hinter ranghohen Politikern steht und von Reportern vor laufender Kamera gefragt wird, wie er das meint, entbehrt das nicht einer gewissen Komik. Soll er doch mal in einer echten Diktatur versuchen – zum Beispiel beim Parteitag der KP Chinas oder bei einer Inszenierung von Erdogan mit einem Schild „Diktatur“ auf live-Bilder im Fernsehen zu kommen, direkt neben amtierenden Ministern und Staatschefs. Dann würde ihm der Unterschied möglicherweise bewusst. Aber in der Gesamtheit des Störfeuers ist es schon einigermaßen schwierig, die Orientierung zu behalten. Ob sich für die nächsten Generationen halten lässt, was wir als Lehren aus der Sprache der Nazis gelernt haben? Ob sich die Brandmauer halten wird, die zur Holocaust-Leugnung und dem falsch verstandenem Zensur-Vorwurf (*) errichtet wurde? Das ist derzeit offen. Und darin liegt wohl das wahre Ziel dieses auf den ersten Blick völligen Unfugs von gelben Judensternen mit der Aufschrift „ungeimpft“. Wenn Nazis und ihr vergiftendes Vokabular nicht mehr als solches erkennbar, aber trotzdem allgegenwärtig sind, haben sie deutlich bessere Chancen auf ein Comeback als noch vor wenigen Jahren denkbar war. Es ist schon erstaunlich mit welcher dreisten Konsequenz in den letzten Monaten alles, was man normalerweise rechten Gruppierungen vorwirft – oder nur als intimer Kenner der Geschichte aus dem Dritten Reich kennt – plötzlich Journalisten, Demokraten und Linken vorgeworfen wird. Völlig unabhängig von den Fakten wird das Vokabular herumgedreht und damit verschlissen, denn ab jetzt bedeutet es nichts mehr, wenn jemand „Machtergreifung“ oder „KZ“ oder „menschenverachtend“ sagt. Ab jetzt muss man immer erstmal schauen, wer und in welchem Kontext das sagt, um zu wissen, ob es in seiner eigentlichen Bedeutung verwendet wird oder mit genau gegenteiliger Intention. Das ist kaum zu leisten, wenn man es nicht als sportliche Herausforderung begreift. Ob es ein Zufall ist, dass diese Offensive jetzt kommt, wo es kaum noch Überlebende gibt, die die Sprache des Dritten Reiches selbst erlebt haben?

* Das ist ein weiteres Beispiel: Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird (absichtlich?) verwechselt mit einem Recht darauf, überall gehört zu werden und unwidersprochen zu bleiben. Denn oft schreien ja Teilnehmer von Corona-Demos laut in die Gegend (im übertragenen Sinne auch online) und beschweren sich dann, wenn man das nicht weitergeben und zitieren will, wenn man dem keine Bühne geben will oder es als Vorlage zum Widerspruch nimmt, dass sie zensiert und mundtot gemacht würden. Aber so ist es nun mal nicht. Ich könnte ja nicht darüber schreiben, ich würde von ihrer Existenz gar nichts wissen, wenn sie wirklich derart zensiert würden. Sie durften Ihre Meinung frei äußern und andere dürfen frei entscheiden, ob sie sich das anhören, das weitergeben oder dem widersprechen wollen. Vorher ging es noch um die Äußerungen von Rechtsradikalen, die als Meinung getarnt waren oder deren Grenzen austesteten, obwohl sie als Verleumdung, Diffamierung und Hetze verwandt wurden. Nun geht es schon um den Anspruch, dafür eine Bühne zu bekommen.

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