Zersplitterung

Es kommen Informationen und Beobachtungen in meinem Kopf zusammen, die ein Bild zeichnen das einem Angst machen könnte. Ich reagiere derzeit noch eher mit ungläubigem Staunen und einer gewissen Häme über die Menschheit, die schon so viel verbockt hat und sich auch das irgendwie selbst eingebrockt hat. Mit großer Macht kommt halt große Verantwortung. Und das bekommen wir nach wie vor nicht hin.

Es geht um folgende Punkte: mmh, eigentlich um einen Punkt. Zersplitterung. Teilweise unbeabsichtigt und teilweise aus Lust an der Zerstörung oder dem „teile und herrsche“-Kalkül. Jedenfalls ist diese Zersplitterung überall zu sehen.

Ich habe zwei Dokus von Arte gesehen, in der einen geht es um eine besonders perfide – und offenbar längst zum neuen Standard erhobene – Form der politischen PR. Der Beitrag heißt „Königsmacher. Mit den Mitteln der Werbung.“ In der anderen geht es um die Tradition der sogenannten Neuen Rechten seit dem Ende des zweiten Weltkriegs bis heute. Wobei Deutschland und Frankreich sich in erstaunlichem Ideen-Austausch befinden. Die Strategien und die politischen Gruppen, die sie anwenden, überschneiden sich durchaus: Einerseits die, die macchiavellistisch Polit-PR machen, und andererseits die Neue Rechte, die ihr Narrativ in die Gesellschaft sickern lassen will.

Und nun habe ich diese Schablone auf meine Erfahrungen gelegt, die ich mache mit Corona-Skeptikern, Impfmuffeln und Menschen, die in unsicheren Zeiten einfach per se alles, was sie als Herrschaft empfinden oder nicht im Alltag erleben können, anzweifeln. Und das sind hier im Osten Deutschlands besonders viele (was erklärbar wäre). Da wo Rechte und Corona-Gegner zusammenfließen, wird es besonders beängstigend.

Folgendes Bild ergibt sich: Es sind bereits weite Teile der Gesellschaft aufgehetzt, der gemeinsame Boden schwindet, die Zersplitterung schreitet voran. Viel wurde auch schon gesagt und wird seither wieder und wieder belegt über den Effekt von Filterblasen in Facebook, Chat-Gruppen, über Googles Algorithmen… Dazu noch Trolle und Medienakteure im Auftrag von Geheimdiensten oder sogar Wahlkampfteams von Trump bis Orban. Auch der Ausspruch „Orwells 1984 ist eine Warnung, keine Anleitung gewesen“ stammt weder von mir, noch ist er aus den letzten zwei Jahren – aber ich kann nur wieder und wieder zustimmend nicken.

Nun weiß ich als Soziologe, dass Gesellschaften schon immer Milieus (oder Klassen oder gar Kasten) mit unterschiedlichen Lebenswelten hatten. Und darin lag schon immer Konfliktpotential. Und es ist immer ein schmaler Grad von einem Zustand, in dem es noch genug Kohäsion gibt, um als eine Gesellschaft zu funktionieren – bis zu dem Zustand, wo es keine geteilten Vorstellungen von der Welt mehr gibt, in dem es gegenüber Menschen, die man nicht persönlich kennt, keinerlei Vertrauen mehr gibt. Und wenn das Vertrauen so weit weg ist, dass ich nicht weiß, wie mein Gegenüber sich verhalten wird, ist die Zersplitterung perfekt. Wenn ich mich nicht darauf verlassen kann, dass gewisse Grundwerte geteilt werden, dass es eine Basis gibt, auf der Missverständnisse und Interessenkonflikte ausgehandelt werden können, ohne dass es sich um bloßes Faustrecht handelt, dann wird Kooperation nahezu unmöglich. Zumindest als komplexe Gesellschaft. Diese Fragestellung fasziniert die Menschen seit jeher. Nicht umsonst werden Geschichten über den Zusammenbruch von Ordnung wieder und wieder erzählt.

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